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29.06.2009

Literatur gewinnt gegen Kunst nach Elfmeterschießen
(Eckart Sackmanns Vortrag auf dem Comicfestival München, und so weiter und so fort)

Schön provokanter Titel, dachte ich, als ich mich am Sonntagnachmittag des diesjährigen Comicfestivals zu München mal wieder ins Biermuseum aufmachte, um dort in kuscheliger und süffiger Atmosphäre einem Vortrag zu lauschen. Diesmal auf dem Programm: "Das ist doch keine Kunst - Comics als Literatur" von Eckart Sackmann. (Von den Kollegen von Splashcomics hier für die Nachwelt konserviert.)

In der Sache kann ich Herrn Sackmann dann auch über große Strecken zustimmen. Klar, Comics sind Literatur - in dem Sinne eben, dass man sie halt "lesen" kann.

Aber wo bitte liegt da der Erkenntnisgewinn? Was bringt es, eine halbe Stunde lang immer wieder "Kunst" (z.B. Roy Lichtensteins "Hopeless") und "Literatur" (in dem Fall also der Comic, der Lichtensteins Druck inspirierte) mit dem Powerpoint-Beamer gegenüberzustellen, nur um in Holzhammermanier immer wieder dasselbe zu sagen? Dass eine Skulptur keine Literatur ist, war doch irgendwie klar, oder?

Besser gelang es Herrn Sackmann, Comics als Teil einer Tradition zu erklären, die schon seit Jahrtausenden - etwa durch Wandmalereien - durch eine Kombination von Text und Bildern Wissen kommunizieren will. Wobei sich natürlich darüber streiten lässt, ob es Sinn macht, allem, was in der Geschichte irgendwie mal so ähnlich wie ein Comic war, das Etikett "Comic" aufzupappen. Das hat immer den Beigeschmack eines Minderwertigkeitskomplexes und Legitimisierungsdrangs, den die Form Comic schon lange nicht mehr nötig hat. Aufrichtiger und nüchterner wäre es vielleicht, antike Höhlenmalereien oder mittelalterliche Wandteppiche als Vorläufer des Comics zu bezeichnen. Damit erkennt man die Tradition, auf die es ankommt, an, auch ohne Etikettenschwindel.

Aber zurück zum Hauptanliegen. Wie gesagt, der Titel der Veranstaltung war provokant und damit gut gewählt. Weniger gut war allerdings, dass der Vortrag selbst sich darin bereits erschöpfte. Comics sind keine Kunst, sondern Literatur, so Sackmann. Weil man Kunst nicht lesen kann, Literatur aber schon. Bumms, aus, basta.

Nur, hat irgendjemand daran gezweifelt, dass Comics per definitionem ein Erzählmedium sind? Und wenn die Frage "Kunst oder Literatur?" so einfach zu beantworten wäre, wie Herr Sackmann das darstellt, wieso braucht dann irgendjemand einen einstündigen Vortrag? Sind wir alle doof, dass wir das nicht selber sehen? Vielleicht sind wir's ja, aber Sackmanns Referat hat uns dann leider auch nicht schlauer gemacht.

Der Vortrag krankte vor allem daran, dass Sackmann schludrig mit seinen Begriffen umging und es zu keinem Zeitpunkt fertigbrachte - oder auch nur versuchte - sich auf die Meta-Ebene zu begeben. Seine Auffassung von "Literatur" oder "Kunst" erklärte er nicht, und in Frage stellte er die Begrifflichkeiten schon mal gar nicht.

Aber was ist den eigentlich "Literatur"? Trifft die Bezeichnung automatisch auf alles zu, was irgendwie durch Prosa Informationen kommuniziert? Tun Comics das nicht zu einem erheblichen Anteil durch Bilder? Und wenn die Bildererzählungen des Comics als "Literatur" im Sackmann'schen Sinne gelten sollen, betrachtet er dann - die Frage ist ernst gemeint und nicht ironisch - die Bildererzählungen des Films ebenfalls als "Literatur"? Natürlich versuchte Sackmann, sich gegen solche Exkurse abzusichern, indem er von den "statischen" Bildern des Comics sprach, aber man muss kein Fotografieexperte sein, um zu wissen, dass der Film nur deshalb "läuft", weil eben solche "stehenden" Bilder schnell nacheinander aufgefangen und abgespielt werden. Am Ende steht lediglich die Illusion einer Bewegung - ähnlich also wie bei einem Comic, nur dass dort das Gehirn stärker als beim Film gefragt ist, die entstehenden Lücken auszufüllen.

In der Literaturwissenschaft ist es nicht mehr unüblich, sich mit Filmen und Comics zu beschäftigen; und es spricht ja eigentlich nichts dagegen. Einen Film oder einen Comic kann man schließlich genauso lesen wie ein Buch. Das sagt etwa auch Scott McCloud, der darauf hinweist, dass es sich bei Buchstaben auch nur um vereinfachte Bilder handelt. Auch wenn Herr Sackmann nach eigener Aussage davon überzeugt ist, dass es auch ohne McCloud geht, wäre das z.B. ein interessanter Ansatzpunkt gewesen, den man hätte aufgreifen können, um am Ende nicht in einem stumpfen, längst überholten "entweder-oder"-Schema zu verharren.

Überhaupt schipperte Sackmann mit traumwandlerischer Sicherheit an allen möglichen Ansatzpunkten für eine anregende Diskussion vorbei. Was ist denn eigentlich "Literatur" im Sinne von "literarisch"? Gibt's da nicht vielleicht feine Unterschiede zwischen Karl May und Michael Chabon, zwischen Fletcher Hanks und Alan Moore? Und was versteht Sackmann unter "Kunst"? Meint der Begriff "Kunst" im Deutschen tatsächlich immer nur, wie Sackmann suggeriert, irgendein statisches, nicht-literarisches Objekt, das sich ausstellen lässt? Wie sieht's aus mit Kunstfertigkeit oder Kunstwerk, Kunsthandwerk oder Aktionskunst, künstlerischem Anspruch und allem anderen, was der Begriff "Kunst" noch so umfasst? Sind Comic-Autoren keine "Künstler"? Ist Comics-Zeichnen keine "Kunst"? Und warum sollen Comics oder Filme oder Romane nicht bitteschön Literatur und Kunst zugleich sein können?

Alles Fragen, über die man hätte reden, streiten, sich austauschen können, wäre man über das Stadium verkrusteter und unreflektierter Kategorien hinausgekommen. So aber wurde ein unbrauchbar eng gefasster Kunstbegriff als gegeben vorausgesetzt und dann einem unbrauchbar weit gefassten Literaturbegriff gegenübergestellt. Wodurch am Ende jede sachbezogene Diskussion natürlich im Keim erstickt wird.

Als Aufwärmübung vor dem Vortrag fragte Ansager Heiner Lünstedt Herrn Sackmann, was denn eigentlich die ersten acht "Künste" seien, wo Comics doch so gerne als "Neunte Kunst" bezeichnet werden. Herr Sackmann winkte ab und wich aus, und nach seinem Vortrag scheint das auch nicht mehr verwunderlich. Zu den von Ricciotto Canudo, einem italienischen Filmkritiker, Anfang des 20. Jahrhunderts benannten "Künsten" gehören nämlich neben dem Film noch die Architektur, die Bildhauerei, die Malerei, die Musik, die Dichtung und der Tanz. (Später kam noch das Fernsehen als achte dazu.) Oder, will man weiter zurückgehen, gäb's da auch noch die "Sieben Künste": Grammatik, Rhetorik, Logik, Geometrie, Arithmetik, Musik und Astronomie. Das hätte dann offenbar wohl alles, beim besten Willen, viel zu viele Fragen aufgeworfen.

Begriffe willkürlich zu definieren, wie man sie grade braucht, und dann auf dieser Grundlage zu "beweisen", dass ein Ding eins ist, aber nicht das andere, das ist jedenfalls wahrlich keine Kunst.

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posted by Marc-Oliver Frisch um 18:26 | Permalink