Watchmen - Die Wächter


Watchmen
USA 2009, Regie: Zack Snyder, Hauptdarsteller: Malin Akerman (Silk Spectre II), Billy Crudup (Dr. Manhattan), Matthew Goode (Ozymandias), Carla Gugino (Silk Spectre), Jackie Earle Haley (Rorschach), Jeffrey Dean Morgan (The Comedian), Patrick Wilson (Nite Owl II),





New York, 1985, in einer Welt, die der unseren stark ähnelt, aber in Einzelheiten anders ist. Es herrscht der Kalte Krieg, doch die Anspannung zwischen Ost und West ist noch viel stärker, als sie in unserer Realität je wahr. Der Atomkrieg steht praktisch vor der Tür, Richard Nixon geht bereits in seine dritte Amtszeit. Und: Es gibt Superhelden. Die meisten davon sind nicht mehr als gut trainierte, kostümierte Verbrecherjäger, und obendrein sind sie mittlerweile offiziell verboten. Doch einer von ihnen ist ein überaus mächtiges, übermenschliches Wesen: Dr. Manhattan. Für die USA ist er die Versicherung, einen möglichen Krieg gegen die Sowjets gewinnen zu können. Gemeinsam mit ein paar anderen Helden gehörte Dr. Manhattan zum Superheldenteam der "Watchmen", das inzwischen nicht mehr aktiv ist. Zu der Gruppe gehörte auch der Comedian. Dieser wird eines Tages ermordet aufgefunden. Warum musste er sterben und wer war der Mörder? Der stets maskiert auftretende Rorschach, ebenfalls Ex-Mitglied der Watchmen, vermutet, dass es hier jemand auf (Ex-) Superhelden abgesehen hat. Dass er mit seinen Ermittlungen aber einer gigantischen Verschwörung auf der Spur ist, kann er noch nicht ahnen ...

Es ist eine paradoxe Situation: Kaum eine Comicverfilmung haben Comicfans fieberhafter herbeigesehnt als diese. Und gleichzeitig wurde keine andere Comicverfilmung so gefürchtet wie diese, denn die Vorlage galt wegen ihrer umfangreichen und komplexen Handlung als unverfilmbar - zumindest in Form eines abendfüllenden Spielfilms. Für sehr viele Comicleser zählt Watchmen, die Maxiserie von Alan Moore und Dave Gibbons aus dem Jahr 1985/86, nicht nur zu den ganz großen Klassikern des Genres, sondern auch zu ihren persönlichen Lieblingscomics. Nach zahlreichen gescheiterten Anläufen und immer wieder verworfenen Projekten ist das Werk nun also doch noch verfilmt worden, und zwar von jemandem, der sich selber zu den großen Fans des Watchmen-Comics zählt: Regisseur Zack Snyder, bekannt geworden durch ein Remake des Zombiefilms Dawn of the Dead und die Frank-Miller-Verfilmung 300. Snyder wusste um die hohen Erwartungen der Fans und um den Mythos der Unverfilmbarkeit des Comics.

Für Snyder gab es nur einen Weg, Watchmen auf die Leinwand zu bringen: So nahe am Comic zu bleiben wie möglich. Und genau das hat er getan: Watchmen erzählt exakt die Geschichte, die der Comic erzählt, und er erzählt sie auf nahezu identische Weise. Snyder übernimmt alle Hauptfiguren und deren Beziehungsgeflecht, er streicht keine relevanten Handlungsstränge, er versucht nicht, die Story zu vereinfachen und geradliniger zu machen. Die einzige größere Abweichung zur Vorlage erlaubten sich die Drehbuchautoren beim finalen Höhepunkt der Geschichte. Und diese Änderung funktioniert besser als vermutet. Diese Werktreue ist einerseits großartig, denn so entsteht eine komplexe, verschachtelte Erzählung, mit wechselnden Erzählperspektiven und etlichen Zeitsprüngen. Etwas, was man dem großen, teuren Blockbusterkino aus Hollywood gar nicht mehr zugetraut hätte. Verzichtet wird lediglich auf die im Comic eingewobenen Szenen aus einem Piratencomic und damit auf eine weitere Metaebene (im angekündigten Director's Cut sollen diese Szenen als Zeichentricksequenzen eingebunden werden).

Es ist also fast alles im Film, was auch im Comic ist. Das Problem ist nur: Einen Stoff, den Moore und Gibbons über 380 Seiten episch ausgebreitet haben, quetscht Snyder in gut zweieineinhalb Stunden. Das Resultat: Der Film fühlt sich trotz seiner Länge sehr gehetzt an, er hechelt förmlich von Erzählstrang zu Erzählstrang, ohne einen Moment des Innehaltens. Kaum ein Detail des Comics möchte Snyder auslassen, aber die Fülle dieser Details wird dem Zuschauer derart schnell und geballt präsentiert, dass er nur schwer folgen kann.

Besonders deutlich wird dies am Hintergrund der Superhelden. Bei Alan Moore entfaltet sich, vor allem in den Kapitelanhängen (in Form von Buch- und Zeitungsausschnitten, Akten und anderem fiktiven Textmaterial) eine fein ausgearbeitete Superheldenhistorie. Wir erfahren, wie in den 30er Jahren die ersten Helden entstanden, wie sie erste Teams bildeten, zu Stars wurden, später im offiziellen Auftrag der Regierung arbeiteten, dann jedoch vom Volk verachtet und schließlich verboten wurden. Dieser Background, der für den Plot von Watchmen nicht ganz unwichtig ist, wird von Snyder in wenigen Minuten während des Vorspanns abgefühstückt. Dies ist zwar stilistisch hochinteressant und virtuos gelöst, aber wer hier nicht aufpasst (und die Comicvorlage nicht kennt), dem fehlen einige wichtige Grundlagen.

Watchmen ist, auch hier bleibt er der Vorlage treu, ein sehr erwachsener Film. Es gibt keine strahlenden Helden, alle Figuren sind durchweg moralisch entweder ambivalent oder gleich völlig verkommen. Sie schrecken nicht vor extremer Gewalt zurück und einer von ihnen läuft auch noch ständig nackt herum. Die Gewalt in Watchmen gehört zu den wenigen Punkten, in denen Zack Snyder mal nicht knapper ist als die Vorlage. Im Gegenteil, hier wird ausschweifend ausgeschmückt. Kampfszenen werden zelebriert, und zwar in einer ähnlichen Ästhetik, wie man sie aus Snyders 300 kennt: mit einem Mix aus Superzeitlupen und Zeitraffern und mit blutigen Splattereffekten. Das zeigt die Watchmen-Helden zwar als skrupellos und brutal, überhöht sie aber gleichzeitig auf eine Weise, die nicht im Sinne der Vorlage sein kann.

Ungewöhnlich für einen Film dieser Größenordnung ist, dass praktisch keine bekannten Stars dabei sind. Watchmen ist mit weitgehend unbekannten Schauspielern besetzt, und auch hier wurde schon beim Casting versucht, größtmögliche Nähe zum Comic zu bewahren. Die Ähnlichkeit der Leinwand-Charaktere zu den Zeichnungen von Dave Gibbons ist teilweise frappierend. Einige der Akteure machen ihre Sache sehr gut: Jeffrey Dean Morgan als Comedian und besonders Jackie Earle Haley als Rorschach sind sehr überzeugend, auch Patrick Wilson macht als verunsicherter Nite Owl seine Sache nicht schlecht. Billy Cudrup hatte es als Dr. Manhattan recht schwer, weil seine Erscheinung ständig digital verfremdet ist und damit gewollt unnatürlich wirkt. Schwach ist allerdings Matthew Goode als Ozymandias, der vollkommen oberflächlich wirkt, ein aalglatter Jüngling, dem man niemals abnimmt, ein genialer Unternehmer und "der klügste Mensch der Welt" zu sein. Und auch Malin Akerman (Silk Spectre) ist kaum mehr als ein ansehnliches Pin-Up-Girl.

Aber Watchmen ist kein Schauspielerdrama, sondern ein Film, der mit Kostümen und Effekten beeindrucken will. Was die Optik angeht, ist der Film absolut gelungen. Snyder liefert großes, teilweise überwältigendes Augenfutter und hält sich auch bei Ausstattung und Set-Design extrem eng an die Comicvorlage, bis hin zu kleinsten Details. Optisch ragt besonders die Szene heraus, in der Dr. Manhattan einen Ausflug zum Mars unternimmt und dort einen Glaspalast errichtet. Das Schwelgen in Bildern, das Auf-die-Leinwand-Zaubern von Szenen aus dem Comic ist die große Stärke von Snyders Watchmen.

Weniger glücklich dagegen die Musikauswahl. Hier stand scheinbar der Wunsch Pate, die größten Hits der 60er, 70er und 80er Jahre auf dem Soundtrack zu vereinen. Während 80er-Jahre-Hits wie Nenas "99 Luftballons" noch gut zum zeitlichen Setting der Story passen und Bob Dylans "The Times, They Are A-Changing", das den Vorspann untermalt, auch im Comic prominent zitiert wird, wirken andere Songs völlig deplatziert. Was hat die Beerdigung des Comedian mit "Sounds of Silence" von Simon & Garfunkel zu tun? Und was zum Teufel hat sich Snyder dabei gedacht, seine Sexszene zwischen Nite Owl und Silk Spectre, die in ihrer Inszenierung an einen Softporno erinnert, ausgerechnet mit Leonard Cohens "Hallelujah" zu untermalen? Auch wenn der Song durchaus sexuell interpretiert werden kann, er passt ganz und gar nicht zu dieser Szene.

Ist Watchmen nun also gelungen oder misslungen? Sowohl als auch, muss man wohl sagen. Zack Snyder hat einen Film gedreht, der seiner Vorlage extrem treu bleibt und dadurch den wohl ernsthaftesten und komplexesten Superheldenfilm geschaffen, den man bisher im Kino sehen durfte. Watchmen ist visuell beeindruckend und schafft es zumindest teilweise, die moralischen Fragen, die Moore und Gibbons in ihrer Graphic Novel verhandeln, zu übertragen.

Doch als eigenständiges Werk funktioniert der Film nur bedingt. Die Vielschichtigkeit und Tiefe der Vorlage, die nicht zuletzt auch ein "Comic über Comics" ist, kann Snyder kaum einfangen. Viele, die den Comic nicht kennen, werden sich nach dem Kinobesuch fragen, was denn an dieser Geschichte so genial sein soll, dass der Comic als einer der allerbesten gilt. Es bleibt dabei: Wer Watchmen komplett erleben und begreifen will, muss zur Comicversion greifen. tk






Links:
Offizielle Film-Website (englisch)
Offizielle Film-Website (deutsch)
Watchmen in der Wikipedia
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