Moebius Redux

Moebius Redux (Dokumentarfilm über den Künstler Moebius), Regie: Hasko Baumann, Laufzeit: 70 Minuten, OV mit englischen Untertiteln, avanti media GbR
mit: Jean "Moebius" Giraud, Stan Lee, Alejandro Jodorowsky, Dan O'Bannon, H.R. Giger, Philippe Druillet, Jim Lee, Mike Mignola und Enki Bilal


Pressetext:
Der französische Comic-Zeichner und Künstler Jean Giraud hat die internationale Welt der Comics verändert wie kein anderer Künstler vor oder nach ihm. Mit Werken wie "Blueberry" und dem Comicmagazin "Métal Hurlant" ("Schwermetall", "Heavy Metal") wurde Giraud zur Legende. Mit seinen Designs für Filme wie "Alien", "Tron" und "Das fünfte Element" drückte er auch der Filmwelt seinen Stempel auf. Girauds Visionen haben eine ganze Generation von Künstlern, Zeichnern und Filmemachern weltweit geprägt.
MOEBIUS REDUX ist ein visueller Trip, der den Zuschauer in die visionäre Welt des Jean Giraud entführt. Er ist auch die Chronik einer unglaublichen Lebens- und Erfolgsgeschichte. Der Film zeigt die gewaltige Bildsprache Girauds und lässt neben Giraud selbst Weggefährten und Bewunderer wie die Marvel Comics Legende Stan Lee, Autoren wie Jim Lee (X-Men), Mike Mignola (Hellboy) und Enki Bilal und den enigmatischen Filmemacher Alejandro Jodorowsky (El Topo) zu Wort kommen.
Gemeinsam müssen sie feststellen: eigentlich kennt keiner Giraud aka Moebius wirklich.

Kraftwerk-Legende Karl Bartos schrieb die Musik zum Film.


"Moebius Redux - A Life in Pictures" - Bericht von der nichtöffentlichen Teampremiere in Berlin
von Simon Weinert

Er sei einfach nur Künstler und zeichne Bilder, nicht mehr. So resümiert Moebius sein Leben und Werk in dem Film "Moebius Redux" von Hasko Baumann, der am 30. Januar 2007 am Potsdamer Platz in Berlin in einer nichtöffentlichen Vorbesichtigung vorgestellt wurde. Und dieses Resümee nimmt sich der in zweieinhalbjähriger Arbeit entstandene Film als Motto zu Herzen, denn er zeigt und zeichnet in erster Linie Bilder des Ausnahmekünstlers mit den drei Namen: Jean Giraud, Gir und Moebius.

Der Film sei "in HD", hieß es. Schade, dass mir das nun nichts sagt, weil ich in allen Breichen digitaler Technik kein Fünkchen Ahnung habe, doch schmälerte das garantiert nicht den Genuss, als ich in meinem Kinosessel saß und die Kamerafahrt in die Tiefen der Eröffnungspanels von "The Long Tomorrow" erlebte. Die Animatoren führten den Betrachter durch ein Potpourri aus den SF-Werken des Künstlers, und spätestens als "Arzach" über eine futuristische Wüstenstadt glitt, war wohl jeder im Saal optisch vollkommen angefixt.

So weit die Introduktion. Danach erhielten der Künstler und seine Kunst das Wort. Auf der Kinoleinwand konnte man mitverfolgen, wie ein Portrait der Comicfigur "Blueberry" vom ersten Strich bis zur Kolorierung entsteht, ein Effekt, der sich durch den ganzen Film ziehen sollte und auch Werke anderer Künstler illustrierte. Nur ein paar wenige Aufnahmen zeigen Moebius beim Comicfestival in Angoulême im Jahr 2006, beim Gruppenfoto und beim Signieren, ansonsten sieht man den charismatischen alten Herrn mit den feinen Gesichtszügen als gut gelaunten Erzähler vor der Kamera.

Moebius alias Jean Giraud
(Jean Giraud)

Er erzählt mit entwaffnender Ehrlichkeit und viel Selbstironie von seinem Werdegang - wobei die Selbstironie bei der enormen Menge an unernsten, aber tiefgründigen Selbstbildnissen, die Moebius im Laufe seiner Karriere geschaffen hat, durchaus zu erwarten war. Die Erzählung schreitet schnell voran - der Film ist erstaunlich unterhaltsam -, sie streift alle wichtigen Aspekte und Abschnitte dieses Künstlerlebens, verweilt aber nirgends lange, verliert sich nicht in allzu analytischen Details. So erhält sich dieser bildgewaltige Dokumentarfilm seine Beschwingtheit und Kurzweiligkeit.

Außer Moebius kommen auch handverlesene Kollegen, Gefährten und Bewunderer zu Wort, die Anzahl ist auf einige wenige bedeutende Beiträge beschränkt. Enki Bilal (Comiczeichner und Filmemacher aus dem "Métal Hurlant"-Umfeld) kommt nur mit einem Statement zu Wort, dafür erhalten Philippe Druillet (Zeichner und "Métal Hurlant" Mitbegründer) und vor allem Alejandro Jodorowsky (Filmemacher und Szenarist) umso mehr Raum und dürfen sich mit zuweilen fast schon unverschämter und zugleich erfrischender Offenheit über den Gefährten auslassen.

Nachdem die Jugendwerke mit zwei Panels abgehandelt sind, folgt als erste wichtige Station in Girauds Leben seine erste Mexico-Reise mit dem Erlebnis der Wüste, die das Leben des Künstlers grundlegend beeinflusst hat. "Sie hat meine Seele aufgebrochen." Für die ab 1963 einsetzende Arbeit an den Blueberry-Abenteuern für das Magazin "Pilote" sollte die Wüstenerfahrung sehr wichtig sein. Doch schon 1965 kommt es zu einer zweiten, noch viel wirkungsmächtigeren Offenbarung, wieder in der mexikanischen Wüste, dieses Mal aber unter dem Einfluss halluzinogener Pilze. Von da an wird die "schamanistische Qualität" (Jodorowsky) stets in Girauds, Girs, Moebius' Zeichnungen präsent sein.

Doch erst Anfang der siebziger Jahre, durch die Hinwendung zur Science-Fiction und den regen Austausch mit den Kollegen (vor allem Druillet), die 1974 das bahnbrechende Magazin "Métal Hurlant" (in Amerika als "Heavy Metal" und in Deutschland als "Schwermetall" später übernommen) gründen sollten, entstehen Werke der "Transgression", in denen das zweite Wüstenerlebnis konkrete künstlerische Gestalt annimmt. Mit der Kurzgeschichte "Der Umweg" beginnt eine Schaffensperiode ("Arzach", "Der irre Ständer", "Die hermetische Garage") des Experimentierens, der formalen Auflösung und künstlerischen Befreiung, die Moebius als "Ejakulation" und beste Zeit seines Lebens bezeichnet, und die - wie ihm selbst bewusst ist - die Geschichte des abendländischen Comics nachhaltig verändert hat.

Das klingt nun alles nach trockener Künstlerbiografie, doch die unterschiedliche und reichhaltige Verwertung der Bilder und die kongeniale Filmmusik, die Karl Bartos von Kraftwerk eigens komponiert hat, machen daraus einen spannenden und sinnlichen Hochgenuss.

Es folgt die Film-Phase Girauds, die mit der Arbeit an "Dune" begann. Alejandro Jodorowskys Plan, den Roman "Der Wüstenplanet" von Frank Herbert zu verfilmen, scheiterte zwar, doch das Team, das er dafür zusammengestellt hatte und das aus Dan O'Bannon (Effekte), H. R. Giger (Design) und Moebius bestand, sollte 1978 doch noch zum Einsatz kommen, und zwar bei der Visualisierung von Ridley Scotts "Alien". Gigers Kommentar zu Moebius Arbeiten ist übrigens ein schweizerisches: "super!". Danach folgte noch das Filmprojekt "Tron".
Der Film "Dune" von David Lynch hat übrigens (fast) nichts mit dem französischen Versuch der 70er zu tun. Er wurde erst 1984 realisiert, nachdem Jodorowskys Projekt mitsamt den Storyboards und Designs schon längst begraben war.

Alejandro Jodorowsky in Moebius Redux
(Alejandro Jodorowsky)

Zum Comic kehrte Giraud mit großem Erfolg zurück, als er Anfang der 80er Jodorowskys SF-Erleuchtungsmär "Der Incal" zeichnete, sein vielleicht breitenwirksamstes Werk neben "Blueberry".

Das etwas obskure Kapitel Appel-Guéry, dem Sektenoberhaupt, dem sich Giraud mit Frau und Kindern Mitte der 80er anschloss, wird nicht ausgespart. Er selbst hält sich diplomatisch bedeckt, Jodorowsky ist voller Verständnis und Gelassenheit, während Druillet über das Sektenwesen in deutlichen Worten herzieht.

Ein Ruf nach L.A. reißt Moebius aus der Sekte heraus und führt zu einer Bekanntschaft mit Stan Lee ((Mit-)Schöpfer diverser Superhelden wie X-Men, Spider-Man oder Hulk). Der fragt ihn gleich, ob er nicht Lust habe, etwas für Marvel zu machen. Moebius rechnet nach französischer Art in einem halben Jahr mit einem Anruf in der Art "Wir wollten doch da mal was miteinander machen ...". Doch Lees Skript zu einem "Silver Surfer"-Comic liegt am nächsten Morgen bei ihm auf dem Tisch. Der Comickulturenclash, der im Folgenden dargestellt wird ("So ein Titelbild würde in Amerika nie einer zeichnen. Wir brauchen auf einem Titel immer Action."), ist ein komischer Höhepunkt des Filmes. Die Amis Jim Lee (X-Men-Zeichner und Moebiusfan) und Mike Mignola (Hellboy-Zeichner und ebenfalls Moebiusfan) kommen zu Wort, beklagen sich über den Konservatismus im amerikanischen Superhelden-Heftchenuniversum und erklären ihre Enttäuschung darüber, dass Moebius "Silver Surfer" trotz guter Resonanz nicht zu Innovationen in der amerikanischen Comicindustrie geführt hat. Und schließlich bringt es Jodorowsky überspitzt auf den Punkt: "Ich finde Superhelden zum Kotzen, nur dicke Muskeln, aber keinen Schwanz."

Jim Lee in Moebius Redux
(Jim Lee)

Am Ende kristallisiert sich die Feststellung heraus, dass niemand den Menschen Giraud wirklich kennt. Allenfalls kennt man den Künstler, doch gibt es da eine Trennung? Moebius ist sich wohl selbst ein Mysterium, ein vielseitiges Arbeitstier, ständig auf der Suche nach irgendeiner Erleuchtung. Heiliger und Prophet zu sein war einst sein Ziel gewesen, sagt er, doch nun wisse er, dass er nur ein Künstler sei und in erster Linie Bilder male, sonst nichts. Und so arbeitet er unermüdlich weiter und zeichnet, nimmt all seine alten Projekte wieder auf, "Blueberry", "Incal", "Sternenwanderer" oder was ihm sonst so einfällt. Er komme sich vor wie in einem Zug, der Zug sei seine Geschichte, und manchmal schaue er zum Fenster hinaus und sehe, was er bei seinen Mitmenschen zurücklasse, aber er könne den Zug nicht anhalten. Er fahre immer weiter.

Die Filmemacher hoffen, dass sie den Film ins Kino bringen können, ansonsten wird man das Vergnügen haben, ihn auf Arte zu sehen. Egal wo, ob im Kino oder bei Arte, man sollte ihn nicht verpassen. Insgesamt könnte "Moebius Redux" noch etwas analytischer sein, was die bildende Kunst angeht, aber er muss nicht. So wie er ist, unterhält, informiert und präsentiert er genug. Seine größte Stärke ist - wie schon gesagt - der Künstler selbst und seine vielen, vielen Bilder, dieses abgefahrene Universum an grafischen Offenbarungen voller Witz und Wunder, voller Gedankentiefe und Emotion, voller Reflexion und Halluzination. Schamanistische Science-Fiction und viel Wüste, die lebt.

Links:
Produktion: Avantimedia
Jean Giraud bei Wikipedia (englisch)
Andreas C. Knigge über Moebius/Jean Giraud


Bilder mit freundlicher Genehmigung von Avantimedia