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Max, Moritz und der Muff: Wie der Max-und-Moritz-Preis seine Glaubwürdigkeit verspielt

Es war ganz und gar erstaunlich, was Sabine Wittkowski, die als Vertreterin des Carlsen-Verlags an der Abschlussdiskussion des Comic-Salons Erlangen 2012 teilnahm, da mitzuteilen hatte: Es gebe, so Wittkowski, einfach nicht genug kompetente Frauen, mit denen man die Jury des Max-und-Moritz-Preises besetzen könnte. Sie sprang mit dieser Wortmeldung Bodo Birk zur Seite, der als Chef-Organisator des Salons und des Max-und-Moritz-Preises ebenfalls der Jury angehört.

Warum gibt es nicht mehr Frauen in der siebenköpfigen Max-und-Moritz-Jury? Werden die nicht gefragt, oder haben sie keine Lust? Auf meine Frage hatte Birk zunächst entgegnet, dass die Comicbranche ja nach wie vor sehr stark männerbestimmt sei. Dass mit Jutta Harms (Reprodukt), Alexandra Germann (Ehapa) und eben Wittkowski drei der fünf Verlagsvertreter neben ihm auf dem Podium weiblich waren, blieb dabei offenbar unbemerkt. Und überhaupt, so Birk, sei man bei der Zusammensetzung der Jury auf Kontinuität bedacht. Den Hinweis meinerseits, das klinge so, als sei die vermeintliche Männerbestimmtheit der Branche vor allem bei deren männlichen Vertretern weitgehend in sich selbst begründet, wollte Birk nicht gelten lassen. Man wolle schon auch Frauen berücksichtigen, wenn neue Mitglieder in die Jury „hineinrotierten“. Von konkreten Plänen dazu wusste er nichts zu berichten.

Die Geschichte des Max-und-Moritz-Preises stimmt da ebenfalls wenig hoffnungsvoll: Erst 1996, zwölf Jahre nach seiner Einführung, schaffte es erstmals eine Frau in die Jury. Seitdem ist es vielmehr so gewesen, dass eine Frau immer nur genau dann in die Jury „hineinrotiert“, wenn ihre Vorgängerin gleichzeitig „herausrotiert“. Im Jahr 2008 wurde dank dieses höchst merkwürdigen Rotationsprinzips die Journalistin Brigitte Helbling zur Max-und-Moritz-Jurorin vom Dienst, und auch sie ist seither unter sich geblieben.

Dass ausgerechnet Wittkowski die Zusammensetzung der Jury verteidigt, überrascht indes kaum, wenn man weiß, dass Carlsen seit dem Jahr 2000 bei jeder Max-und-Moritz-Gala immer mindestens einen Preis abgestaubt hat, meistens eher zwei oder drei und insgesamt sensationelle und mit großem Abstand unangefochtene zwölf. Von ihrer Warte aus gibt es da freilich keinen Grund, aus der gegebenen Kontinuität ausbrechen zu wollen.

Ähnlich kontinuitätsversessen gibt man sich im Kreis der Jury, wenn das Thema Manga zur Sprache kommt. Zwar gelobten die anwesenden Verlage auf dem Podium, das Manga-Segment in Zukunft weniger stiefmütterlich auf dem Salon präsentieren und vielleicht einige entsprechende Künstler einladen zu wollen. Ihre Kritik, dass der Manga beim Max-und-Moritz-Preis zu kurz komme, wurde aber vom im Publikum anwesenden Juror Herbert Heinzelmann so leidenschaftlich zurückgewiesen, dass unbedarfte Zuhörer das Abendland in Gefahr wähnen mussten. Die potenziellen Preisträger würden eben als Literatur beurteilt, so Heinzelmann energisch, und wenn kein Manga nominiert werde oder gewinne, dann liege das schlicht daran, dass es an der erforderlichen Qualität hapere, basta.

Kollege Lutz Göllner, der die Diskussion moderierte, widersprach an dieser Stelle, wie er zuvor auch schon den von Wittkowski diagnostizierten Mangel weiblicher Kompetenz in der Branche angezweifelt hatte. Die Auswahl der Jury sei vorhersehbar geworden, so Göllner, und die Gewinner hätten ihn auch diesmal nicht überrascht. Birk und Heinzelmann äußerten daraufhin die Mutmaßung, Göllner verfüge wohl über hellseherische Fähigkeiten.

Schaut man sich die Preisträger der letzten Jahre einmal genauer an, stellt sich der Sachverhalt allerdings weitaus weniger esoterisch dar. Neben der erdrückenden Dominanz des Carlsen-Verlags, der allein in den letzten drei Preisverleihungen sage und schreibe acht Max-und-Moritz-Preise für sich verbuchen konnte, gingen seit dem Jahr 2000 sieben Preise an die Schweizer Edition Moderne und vier an den Berliner Avant-Verlag. Verlage wie Reprodukt (zwei Preise) oder Zwerchfell und die Edition 52 (je null Preise) werden zwar gerne mal nominiert, gewinnen aber selten bis nie. Andere, wie Ehapa und Cross Cult (je ein Preis) oder Panini und Splitter (je null Preise) muss man schon auf den Nominierungsbögen mit der Lupe suchen – von den richtig Kleinen der Branche ganz zu schweigen. Nimmt man die Auswahl der Jury ernst, dann verkörpert Carlsen seit mehr als zehn Jahren das absolute Nonplusultra in Deutschland, was qualitativ hochwertige und literarisch anspruchsvolle Comics angeht, und kein anderer Verlag kann sich im Entferntesten mit diesem glänzenden, tendenziell sogar immer stärker auftrumpfenden Musterbeispiel an Qualität messen.

Man muss also beileibe kein Prophet sein, um vorhersagen zu können, wer beste Chancen hat, einen Max-und-Moritz-Preis zu gewinnen. Der SpiegelOnline-Journalist Stefan Pannor etwa hat das bereits Anfang April 2012 getan, als er in seinem Blog darauf hinwies, „dass mindestens im Zeitraum seit 1998 drei Verlage die Preisvergabe dominieren: Carlsen, Avant und die Edition Moderne.“ Und wer wurde nun am letzten Wochenende mit frischen Max-und-Moritz-Preisen ausgestattet? Siehe da: Carlsen, Avant und die Edition Moderne. Offenbar besitzt auch Pannor die Gabe des zweiten Gesichts.

Für einen Preis, der es sich auf die Fahnen schreibt, den Comic nachhaltig im deutschen Kulturbetrieb und in der deutschen Öffentlichkeit etablieren zu wollen, ist all das vor allem eins: lächerlich. Wer das aufrichtige Ansinnen hat, den Comic in Deutschland als ernstzunehmendes Erzählmedium zu fördern, der wird das ganz sicher nicht mit einer Riege ergrauter alter Herren schaffen, deren kollektives ästhetisches Empfinden irgendwann um die Jahrtausendwende erstarrt ist, und die Entwicklungen jenseits ihres Tellerrandes offenkundig nicht mehr wahrzunehmen imstande sind. Die Diskussionen, die es im Vorfeld der diesjährigen Preisverleihung um den Publikumspreis gegeben hatte, lenken von diesem Grundproblem nur ab.

Es wird höchste Zeit, dass die Verantwortlichen diese für jeden ersichtliche Fehlentwicklung korrigieren und durch die dringendst notwendige Verjüngung und Diversifizierung der Jury die Legitimation und das Vertrauen zurückgewinnen, die in weiten Teilen der Branche aufgrund der verkrusteten, vollkommen berechenbaren Strukturen schon längst verloren gegangen sind.

Der Comic in Deutschland ist aufregend, quicklebendig und bereit für ein größeres Publikum. Er verdient eine Max-und-Moritz-Jury, die mit seiner Entwicklung schritthalten kann. 

Links zum Thema:  

Offenlegung: Marc-Oliver Frisch stand als Übersetzer der ollen Zombie-Sause The Walking Dead diesmal mit auf der Liste der nominierten Titel und hat leider nicht gewonnen. Das findet er aber voll okay, und er gönnt allen Preisträgern ihre Auszeichnungen von Herzen. Vor allem Flix, der ihn an seinem Max-und-Moritz-Brot hat knabbern lassen.