Welt am Draht

Alpha … Directions – geguttenbergt?

Zur Zeit ist das Thema Plagiat ja mal wieder in aller Munde, von Ex-Ministers Doktorarbeit bis zum aktuellen Spiegel-Titelbild. Der Plagiatsvorwurf, um den es hier gehen soll, ist schon etwas älter, spielte aber in der Öffentlichkeit bisher kaum eine Rolle und wurde erst in jüngster Zeit etwas lauter.

Der Fall hat eine etwas eigenartige, vom Tempo her eher gletscherhafte Dynamik. Chronologisch verhält es sich etwa so:

Januar 2009 Alpha … Directions, der große Evolutions-Bilderbogen von Jens Harder, wird in Frankreich beim Verlag Actes Sud veröffentlicht.

März 2009 Das Hauptstadtblog veröffentlicht ein Interview mit Jens Harder zu seinem Buch.

Januar 2010 Auf dem Comicfestival in Angoulême bekommt Harder den „Prix de l’Audace“ für Alpha … Directions.

Mai/Juni 2010 Der Carlsen Verlag veröffentlicht Alpha auf Deutsch, fast gleichzeitig wird der Band in Erlangen mit dem Max-und-Moritz-Preis als „Bester deutscher Comic“ ausgezeichnet.

Juni 2010 Zwei Wochen später erscheint auf der Website des Würzburger Ladens „Hermkes Romanboutique“ ein Beitrag, der darauf aufmerksam macht, dass etliche Panels in Alpha von Bildern des tschechischen Malers Zdenek Burian abgezeichnet wurden. Außerdem gibt dort es eine kleine Galerie mit Burians Originalen und deren Versionen bei Harder.

November 2010 Trickfilmzeichner Olaf Encke meldet sich mit harscher Kritik in den Kommentaren des Hauptstadtblog-Interviews zu Wort: Viele Motive in Alpha seien „durchgepaust und geklaut“, Harder sei ein „Dieb geistigen Eigentums“.

Januar 2011 An gleicher Stelle kommentiert Comiczeichner Ulf S. Graupner, spricht von „Plagiat“ und „Bilderklau“ und schreibt, „diese Sache stinkt so zum Himmel, daß darüber geredet werden muß“.

Februar 2011 Im Kostenlos-Magazin Comics Info erscheint der Artikel „Wrong Direction?“, der die Vorwürfe aufgreift. Ein Scan des Artikels ist im Blog des Berliner Comicladens Grober Unfug verfügbar, der eine „Materialsammlung“ zum Thema zusammengestellt hat.

 

Seite aus „Alpha“Ganz unabhängig davon, wie man das Thema urheberrechtlich bewertet, finde ich die Empörung, mit der die Kritik hier vorgetragen wird, sehr verwunderlich. Wer Alpha … Directions nicht nur oberflächlich durchblättert, sondern gründlich liest, wird nämlich schnell merken, dass das (Bild-)Zitat ein ganz grundlegendes Merkmal des Werkes ist. Harder bedient sich keineswegs nur bei Zdenek Burian, sondern bei zahlreichen mehr oder weniger bekannten Kunstwerken, von Alten Meistern bis zu Zeitgenossen, von weltbekannten Museumsexponaten bis zu Underground-Comics. Es macht einen wesentlichen Teil der Faszination von Alpha aus, dass hier nicht nur Milliarden Jahre Erdgeschichte, sondern auch ein paar Tausend Jahre Kunstgeschichte verarbeitet wurden. Harder zitiert mittelalterliche Bibeln, Wissenschaftsgrafiken aus dem 19. Jahrhundert, John Tenniels Illustrationen aus Alice im Wunderland und vieles mehr. Auf der links abgebildeten Beispielseite (Quelle: carlsen.de) sieht man in der oberen Reihe den Dino aus Masashi Tanakas Manga Gon. Das Wiedererkennen bekannter Bilder bei der Lektüre ist ein wesentliches Grundmerkmal des Buches. Mit anderen Worten: Ohne die detailgetreue Wiedergabe bekannter Werke anderer Künstler wäre Alpha ein völlig anderes Buch geworden.

Jens Harder macht daraus auch keinen Hehl. Im Anhang werden unter dem Stichwort „Sources“ die Namen der zitierten Künstler genannt (hier wäre allerdings ein genaueres Quellenverzeichnis anstelle einer bloßen Namensaufzählung angebracht gewesen). Im Nachwort geht er darauf ein, dass er sich für etliche Stellen bei Burian bedient hat. Von einer betrügerischen Absicht, die die Leser bewusst täuscht, kann also keine Rede sein. Harders Technik des Bild-Zitierens ähnelt eher der von Musikern, die Coverversionen bekannter Hits in ihrem eigenen Stil aufnehmen und diese in einen neuen Kontext stellen. 

Screenshot: amazon.deRein juristisch ist es durchaus möglich, dass das ein oder andere Bild in Alpha tatsächlich das Urheberrecht berührt oder verletzen könnte. Wer aber Alpha auf bloßes Abkupfern einzelner Künstler reduziert oder wie Ulf S. Graupner vorschlägt, man hätte doch „mit etwas Phantasie die Tiere in andere Posen setzen können“, hat die Intention des Werkes nicht verstanden und blendet aus, dass Zitieren und „Remixen“ essentieller Bestandteil des Buches sind. 

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