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Giana Sisters – Twisted Dreams

Giana Sisters – Twisted Dreams

Wer kennt sie nicht, die Great Giana Sisters?

Okay, vermutlich kaum noch jemand, der nicht über 30 Jahre alt ist und die glorreichen Jahre der Heimcomputer-Ära mitbekommen hat. Denn die Great Giana Sisters sind auf C64, Amiga und Atari ST das gewesen, was die Super Mario Bros für Nintendos Konsolenfraktion waren. Das traf zwar nicht unbedingt in qualitativer Hinsicht zu, aber neben der frappierenden Namensähnlichkeit waren auch die ersten Levelaufbauten eins zu eins dem Nintendo-Vorbild entliehen. So kam es, wie es kommen musste: Das Spiel verschwand aus den Händlerregalen. Wahrscheinlich, so munkelte man, auf massiven Druck seitens Nintendo. Der dahinter vermutete Rechtsstreit machte The Great Giana Sisters berühmt und die (urbane) Legende war geboren.

Die Versöhnung ist – unbewusst auf den letzten Drücker – vollzogen worden. Immerhin erschien nach zwei Handyauskopplungen im April 2009 ein neuer „richtiger“ Teil für Nintendo DS, kein halbes Jahr, bevor Giana Sisters-Vater und Entwicklerlegende (posthum Aufnahme in die Hall of Fame als erster deutscher Spieleentwickler) Armin Gessert an einem Herzinfarkt verstarb. Sein 1994 gegründetes eigenes Studio Spellbound meldete im Frühjahr dieses Jahres Insolvenz an und man könnte meinen, dies sei das Ende der Geschichte … ist es aber nicht!

Unter dem Namen Black Forest Games arbeitete man einfach weiter. Fehlte nur noch ein Projekt und das Geld, es durchzuführen beziehungsweise zu Ende zu bringen. So begann die Erfolgsgeschichte von Giana Sisters – Twisted Dreams, welches via Kickstarter als „Project Giana“ die mindestnötige Menge Geld auftreiben konnte, um geboren zu werden. Und man hat Wort gehalten.

Giana Sisters – Twisted Dreams ist dabei nicht etwa ein HD-Remake eines mittlerweile völlig überholten Jump’n Runs, für das ein Haufen alter Säcke in verklärter Erinnerung ein paar Euros haben springen lassen. Nein, es ist ein mutiger Versuch, ein Spiel, das nahezu keine Updates gesehen hat, in allen Belangen in das Jahr 2012 zu katapultieren und sich dabei selbst neu zu definieren; dieses Mal nicht als Klon irgendeines anderen Spiels.

Trailer:

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Die ersten Schritte sind noch altbekannt. Erreiche den Levelausgang und sammle dabei so viele Diamanten wie möglich. Im Gegensatz zu Klempnerkonkurrent Mario geht es dabei munter in alle Richtungen und nicht vorwiegend immer nur nach rechts. Vom Levelausgang halten einen die teils bekannten Gegner, bodenlosen Löcher, tödlichen Objekte, kniffligen Sprungpassagen und das ein oder andere Rätsel, sprich der Levelaufbau, fern.

Warum diese Selbstverständlichkeit erwähnenswert ist? Weil der Levelaufbau sich per Knopfdruck ändern lässt, genauso wie eure Fertigkeitenpalette. Sammelte man früher noch einen Power-Pilz ähnlichen Ball ein, um Giana in ‚Punker‘-Giana verwandeln zu lassen, die mit Blitzen schießen kann, geschieht die Hin- und Rückverwandlung nun wann, wo und so oft ihr wollt. Während die normale Giana Pirouetten drehend durch die Luft schweben kann, beherrscht ihr aggressives Alter-Ego eine Art Spin Dash. Sprich: Sie schießt als rotierender Feuerball pfeilschnell auf die Gegner zu. Ist ein Gegner oder eine Wand getroffen, kann man diesen Effekt auch aneinander ketten für extreme Flipperkugel-Walljumps oder Gegner-Vernichtungs-Stafetten.

Aber, wie bereits erwähnt, auch die Umgebung ändert sich. Einmal grafisch: Denn während die aggro Giana durch eine kunterbunte Welt läuft, mutiert diese für die süße Giana zur absoluten Albtraumvision. Dieser imposant inszenierte Verwandlungseffekt alleine lohnt schon einen Blick auf das Spiel.

Spielerisch hat das Ganze aber ebenso relevante Auswirkungen, denn manche Objekte sind nur in einer Phase der Welt greifbar oder aktiv. So hängt es von der Verwandlungsstufe ab, ob man einen Diamanten nehmen kann, ob eine Plattform nutzbar ist oder sich bewegt oder ob ein Tor sich öffnet. (Böse Zungen kennen das zum Beispiel aus Outland.) Wenn eine Zugbrücke nur in der einen Phase ausgefahren ist, das Tor aber nur in der anderen Phase geöffnet, gilt es die beiden Phasen geschickt kombinieren/wechseln zu lernen, um sein Ziel zu erreichen.

Heile Welt:

Screenshot aus Giana Sisters – Twisted Dreams (heile Welt)


Umschalten auf fiese Welt:

Screenshot aus Giana Sisters – Twisted Dreams (fiese Welt)

 

Last but not least sollte noch erwähnt sein, dass auch die Musik sich ändert. Während die kunterbunte Welt mit teils eingestreuten 8-Bit-Originalsounds aus der Feder von Ursprungskomponist Chris Hülsbeck stammt und sich weitestgehend an den Original-Themes bedient, wandelt sich das Ganze in der Albtraumwelt zu einer harten Gitarrenversion, eingespielt von Machinae Supremacy. (Alten Säcken und Retrofans beide bekannt und beliebt.) Vor kurzem sahnte Giana Sisters – Twisted Dreams den „Deutschen Entwicklerpreis“ für den besten Sound ab.

Eigentlich stimmt also alles. Der Musik ist schmissig, die Grafik toll und die Spielmechanik ist frisch und funktioniert. Kritik, wenn auch teils sehr persönliche, gibt es aber dennoch. So werden die Level schnell ordentlich lang und ungemein knifflig. Je nach Person ein Pluspunkt, lässt sich doch so manches Jump’n Run nahezu mit verschlossenen Augen durchspielen, ich persönlich bin zu meiner Schande dafür aber zu alt, faul oder bequem geworden. Denn teilweise ist es gar nicht so einfach, seine Finger dazu zu bekommen, das Gewollte auszuführen. So geht Gianas Spin Dash immer in die Richtung, in die man beim Auslösen die Richtungstasten/Stick drückt, was aber in Kombination mit einem normalen Sprung schon mal einige Versuche kosten kann. Wenn man zum Beispiel seitlich springt, wobei man den Stick weiter seitlich gezogen halten muss und dann in der Luft hängend einen Spin Dash nach oben machen will, um eine Plattform zu erreichen, sind das verlangte Eingabelatenzen und Genauigkeiten wie bei einem Prügelspiel. Easy to learn, hard to master; zumindest teilweise.

Funktioniert das Ganze aber, geht ein Feuerwerk auf dem Bildschirm ab! Ebenfalls gefielen mir die 2D-Umsetzungen von „Pikomis“ Neuinterpretation besser als ihre 3D-Pendants, aber das mag wiederum eine Frage des Alters und persönlichen Geschmacks sein.

Giana Sisters – Twisted Dreams ist, gerade auch wegen der superschmalen 14,99 Euro (UVP, zum Teil günstiger erhältlich), die das Ganze kostet, jedem zu empfehlen, der beim Begriff „Jump’n Run“ nicht auf den nächsten Baum flüchtet. Dabei ist es völlig egal, ob man das alte Giana Sisters kennt oder nicht. Die alte Garnison erfreut sich zusätzlich an den Neuinterpretationen der bekannten Lieder und dem ein oder anderen Wiedererkennungseffekt, alle bekommen aber ein rundum gelungenes, imposantes, frisches und forderndes Jump’n Run vorgesetzt. Das – das sei auch noch erwähnt – fleißig neue Levels nachgeschoben bekommt wie zum Beispiel Halloween- oder Weihnachtsspecials.

Das Spiel und eine Demo für alle, die immer noch zweifeln, sind momentan ausschließlich als Download für Windows-Systeme erhältlich, via Steam, GoG, GamersGate und Gamesrocket (DRM-frei). Für andere Plattformen wie PS3 sind Umsetzungen geplant.

Giana Sisters – Twisted Dreams
Black Forest Games, Oktober 2012
System: Windows
Preis: 14,99 Euro (UVP, Download)
Homepage des Spiels

Wer eine derartige Spielebegeisterung wie unser Gastautor David M. Malambré aufweist, sollte sich seine dadurch inspirierte Webcomicserie Demolition Squad nicht entgehen lassen.

Abbildungen/Video © Black Forest Games