Rezensionen

Eremit

Cover EremitDas erst zweite eigenständige Buchprojekt von Marijpol (i.e. Marie Pohl) ist reichlich finster geraten, hält es uns doch das gar nicht mal so unrealistische Schreckensszenario einer hoffnungslos überalterten Gesellschaft vor. Immerhin lässt uns die Künstlerin noch einen kleinen Lichtblick übrig: In einer Welt, in der es nahezu keine Kinder mehr gibt, soll man sich wenigstens aufs Sterben freuen dürfen. Der Tod ist in Eremit eine freiwillige, selbst wählbare Attraktion, die man in einer Art Reisebüro buchen kann. Egal ob am Strand, unter dem Meeresspiegel oder im Weltall; unter dem Motto „Zusammen schöner sterben” werden die letzten gemeinsamen Stunden eines Paares zur Erlebnisreise.

Während die Geburt kaum mehr eine Rolle spielt, ist das Thema Sterben wichtiger denn je. Aber ist es nicht verwerflich, dass der Freitod zum ertragreichen Geschäftsmodell verkommt? Dieser Frage begegnet der Comic eher zynisch, indem er die Selbstbestimmtheit des Einzelnen heraushebt und Kritik nur spärlich zulässt. Sinnbild des Zynismus ist der im Dschungel lebende Eremit, ein abgemagerter Außendienstmitarbeiter der Sterbebegleiteragentur mit alienartigem Kopf. Letzterer ist in zwei Hälften gespalten und wird notdürftig mit einem Gürtel zusammengehalten. Ein Umstand, der über die Dauer des gesamten Bandes eine zentrale Rolle einnimmt.

Seite aus EremitAls letzte Prüfstelle vor dem Tod der Kunden kontrolliert der Eremit diese auf etwaige Unsicherheiten bezüglich ihrer Entscheidung. Der kauzige Kontrolleur symbolisiert dabei die Dichotomie der Existenz, die Schwelle zwischen Leben und Tod, die die alten Menschen in dieser Erzählung selbst überschreiten können. Daraus resultiert ein Spannungsfeld zwischen Freude und Angst, das letztlich sogar wortwörtlich den Gürtel um den Kopf des Eremiten zu sprengen droht. Und das erst recht, als plötzlich ein Kind in sein Leben eindringt und gleichzeitig ein zögerlicher Kunde sein Weltbild ins Wanken bringt.

Für die Lektüre des Buches muss man sicherlich offen sein für vordergründig verschrobene Geschichten mit wirren Ideen. Denn viele Szenen sind einfach nur absurd. Marijpols Comics agieren schlichtweg auf einer darunter liegenden Ebene, die um philosophische, psychologische, gesellschaftsrelevante Themen herum ein feines Netz aus metaphorischen, symbolträchtigen Elementen spinnt. Das geschieht weniger subtil als bei anderen Comics: Eremit, wie auch bereits der 2011 erschiene Band Trommelfels, verlässt den Realismus weitgehend, um mit eindringlichen, dicken Bleistiftstrichen ein Stück weit das Innenleben von uns Menschen einzufangen. Und das geht nun mal mit überbordender Fantasie manchmal am besten.

 

Wertung: 8 von 10 Punkten

Bemerkenswerter Comic über Altern und Tod

 

Eremit
Avant-Verlag, 2013
Text und Zeichnungen: Marijpol
216 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 19,95 Euro
ISBN: 978-3-939080-71-8
Leseprobe

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Abbildungen: © Marijpol/Avant-Verlag