Rezensionen

Leto – Reise in die Halongbucht

Cover LetoAnnette Köhns Comic-Debut beginnt wie eine Liebeserklärung an die Macht der Fantasie: Die kleine, stets unter strenger Bewachung stehende Prinzessin Elly lässt sich während einer Operngala von einem kleinen Drachen entführen. In der Drachenhöhle angekommen erzählt der Drache mit dem Namen Leto der Prinzessin, dass ihre Begegnung früher sicher weniger sanft verlaufen wäre. Er zeigt ihr ein altes Buch mit großen, unheimlichen und feuerspeienden Drachen, die Reisende überfallen und Prinzessinnen rauben und quälen. Aber inzwischen sind die meisten Drachen geflohen vor dem Kriegslärm und der Ausbreitung der modernen Menschen. Nur Leto ist geblieben, doch er ist klein geworden und hat gelernt, dass man sich viel besser mit seiner Umgebung verträgt, wenn man nett ist. Einen Wunsch jedoch hat Leto noch: Er möchte einmal im Leben einen weiteren Drachen treffen. Prinzessin Elly rät ihm, nach Vietnam zu reisen, weil dort Drachen noch eine wichtige Rolle in der Kultur spielten. Leto beschließt, sofort auf die Reise zu gehen und Prinzessin Elly verspricht, von Letos Reiseerzählungen einen Comic zu zeichnen.

Damit endet der stärkste und atmosphärischste Teil des Buches. Aber auch die nun folgende Drachenreise ist schön in Szene gesetzt. Leto kollidiert im Flug mit einem Flugzeug und muss einen Teil der Reise als blinder Passagier auf dem Rücken eines Fliegers zurücklegen. Witzig sind die Flughafenszenen, in denen von Leto immer nur ein Körperteil zu sehen ist, weil er sich versteckt halten muss. Mal spitzt sein Kopf zwischen Koffern durch, mal sieht man gerade noch den Schwanz, als er mit dem Förderband verschwindet. Das ist lustig und kindgerecht.

Seite aus LetoIn Hanoi angekommen, gelingen der Zeichnerin einige wunderschön anzusehende Impressionen der Stadt. Leto stößt in einem Park auf zwei versteinerte Drachen, die sich nur durch Magie für kurze Zeit zum Leben erwecken lassen. Diese schicken ihn in die Halongbucht, wo es vielleicht noch frei lebende Drachen geben könnte. Auch die spektakuläre vietnamesische Halongbucht wird von Annette Köhn sehr ansprechend in Szene gesetzt, doch geht dem Comic in diesem letzten Teil merklich die Luft aus: Leto trifft einen freundlichen Affen, der ihm hilft, einen großen alten Drachen zu suchen. Als sie diesen finden, erweist sich der zwar zunächst als ziemlich grimmig, aber dieses Problem ist leicht gelöst: Tatsächlich hatte dieser alte Drache nur zu lange keine Freunde mehr gesehen, außerdem musste bei ihm einfach mal die Wohnung geputzt werden.

Insgesamt ist mir Leto damit leider zu glatt geraden. Alle Figuren sind nett und wollen eigentlich immer nur miteinander spielen. Was zu Beginn einigermaßen gruselig mit einer entführten Prinzessin und Geschichten von bösen Drachen beginnt, entwickelt sich im Verlauf der Handlung mehr und mehr zu einem Comic für Kleinkinder. Das ist zwar oft in schöne, poetische Bilder gekleidet, aber neben einigen Schauwerten muss man sich auch durch seitenweiße sprechende Köpfe kämpfen, ohne dass sich groß Handlung entfaltet.

Seite aus LetoStörend ist manchmal auch die auf lässig getrimmte Sprache. Die größte Entgleisung ist dabei eine Seite, auf der es „voll viel Obst“ gibt, etwas „voll nett“ ist, wo „voll viele Menschen“ inzwischen Smartphones haben und diese Menschen „voll sauer“ sind, wenn ihnen „die Dinger“ von Affen geklaut werden. Solches „Babysprech“ passt weder zu den Figuren noch ist es das Deutsch, das ich meinen Kindern gerne beibringen würde.

Trotz dieser Kritikpunkte sind Annette Köhn aber ansprechende Figuren und einige schöne Inszenierungen gelungen. Auch die unschuldige Naivität des Comics wird sicher ihre Fans finden. Annette Köhn feiert mit Leto ganz sicher auch ein klein wenig ihre eigene Fantasie und ihre Energie, ein eigenes Buch in dem von ihr selbst gegründeten Verlag zu veröffentlichen. Für jeden, der selbst mit der Idee hadert, ob es sich lohnt, mit dem Comiczeichnen zu beginnen, ist sie ganz sicher ein Vorbild: Man muss sich nur trauen. Und die Verarbeitung des Buches ist wie immer beim Jaja-Verlag eine Freude. Leto war übrigens auch für den Comicgartenzwerg in Leipzig 2014 nominiert

Wertung: 7 von 10 Punkten

Ein freundlicher Kindercomic, der etwas mehr Biss vertragen hätte. Trotz kleinerer Schwächen liebenswert.

 

Leto – Reise in die Halongbucht
Jaja Verlag, Februar 2014

Text und Zeichnungen: Annette Köhn
132 Seiten, vierfarbig, Softcover
Sprache: Deutsch
Preis: 18,00 €
ISBN: 978-3-943417-33-3
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Abbildungen: © Annette Köhn/Jaja Verlag