Rezensionen

Jetzt kommt später

Cover Jetzt kommt späterEine Schweizer Studentin kommt für ein Austauschsemester nach Hamburg und fasst dort einen Entschluss: „Ich werde zu keiner Einladung Nein sagen, während ich hier bin!“ Ein Einstieg, aus dem sich eine wilde Screwball-Komödie ebenso machen ließe wie ein Melodram, ein actionreicher Krimi oder ein Beziehungsdrama. Bei Kati Rickenbach wird daraus nichts von alldem – denn das hier ist ihre eigene Geschichte, und das reale Leben ist meistens nicht allzu aufregend.

Jetzt kommt später ist ein autobiographischer Comic und gehört damit einem Genre an, das in den letzten Jahren ziemlich erfolgreich war. In zahlreichen Comics erzählen Zeichner von ihrem Leben und ihrer Entwicklung. Doch nicht jeder hat eine Kindheit im Iran erlebt oder ist als Teenager per Autostopp nach Italien ausgerissen – oft ist das eigene Leben dann doch eher unspektakulär. Das gilt auch für Kati Rickenbach: Wenn sie 2004 ihre schweizerische Heimat für ein Auslandssemester verlässt, bekommt sie es zwar mit einer neuen Umgebung und neuen Mitmenschen, aber nicht mit einer völlig fremden Welt zu tun. Große Dramen ereignen sich nicht, und so bestehen große Teile des Buches aus recht alltäglichen Episoden: Studentenparties, Abgabetermine, der ein oder andere Flirt, Stress mit der Mitbewohnerin.

Das könnte furchtbar banal und langweilig sein, hätte die Künstlerin nicht ein paar erzählerische Kniffe gefunden, die sehr gut funktionieren. Zum einen spielt der Comic auf zwei verschiedenen Zeitebenen: Einmal im Jahr 2004 beim schon erwähnten Austauschsemester, in dem Kati am Comickurs von Anke Feuchtenberger teilnimmt und sich beim Magazin Orang beteiligt, sowie fünf Jahre später, wenn sie noch einmal zurückkehrt – dann zusammen mit ihrem festen Freund. Immer springen wir zwischen den Zeitebenen und können nachvollziehen, was anders geworden ist – im Privatleben der Protagonistin, in ihrer beruflichen Laufbahn, in ihrem Umfeld und in ihrem eigenen Blick auf sich selbst.

Seite aus Jetzt kommt späterDer zweite erzählerische Kniff: In den Kapiteln, die 2009 spielen, arbeitet Kati an genau jenem Buch, das der Leser in den Händen hält. Noch während man es liest, erfährt man, wie es entstanden ist. So wird der vorliegende Comic zu seinem eigenen Making-Of, wodurch eine schöne Metaebene entsteht. Dazu gehören auch grundsätzliche Betrachtungen zum Wesen der Autobiographie. Eine Dialogszene erörtert zum Beispiel die Frage, ob es erlaubt ist, in autobiographischen Geschichten etwas dazuzudichten oder die Namen der Protagonisten zu ändern. „Das wäre so, als würde ich alles erfinden, Priska ist nur Priska, wenn sie auch so heißt!“

Dieser Wille zur unbedingten Ehrlichkeit zeichnet Jetzt kommt später dann auch aus. Die Selbstinszenierung der Künstlerin bleibt bodenständig und uneitel, in ihrer Normalität wirkt sie nahbar und sympathisch. Dazu trägt auch der lockere, skizzenhafte Zeichenstil bei, der ein wenig an Mawil erinnert. Nichts an Rickenbach Bildern wirkt aufgesetzt oder künstlich, sie wirken tatsächlich wie Szenen, die das Leben schrieb.

Neben der schon erwähnten Anke Feuchtenberger treten weitere Personen auf, die inzwischen selbst recht bekannte Comiczeichner sind, wie Arne Bellstorf, Line Hoven und Sascha Hommer, der Kati zur Mitarbeit bei Orang einlädt. Hommer wirkt, so wie er hier porträtiert wird, nicht gerade als großer Sympathieträger, aber als ein guter Kollege, mit dem es sich bestens zusammenarbeiten lässt. Und zwar bis heute: Ein Blick ins Impressum verrät, dass die Graustufen in den 2009er-Kapiteln des Buchs von ihm beigesteuert wurden.

Mit insgesamt 300 Seiten (ein umfangreicher Anhang enthält auch noch diverses „Belegmaterial“ wie Kurzcomics, von deren Entstehung in der eigentlichen Geschichte berichtet wird) ist dies ein mächtig dicker Band geworden. So schwergewichtig, wie es von außen wirkt, ist der Inhalt jedoch nicht. Man könnte bemängeln, dass der Comic allzu brav und harmlos daherkommt und jene Eindringlichkeit vermissen lässt, die große autobiographische Comics auszeichnet. Schon richtig, der ganz große Wurf, die absolute Pflichtlektüre ist Jetzt kommt später nicht geworden. Dafür aber ein leichtfüßiger Blick in das Leben einer Zeichnerin, die auf weinerliche Selbstbespiegelung verzichtet, einen unbeschwert-optimistischen Grundton anschlägt und damit sehr unterhaltsam zu lesen ist.

 

Wertung: 7 von 10 Punkten

Autobiographische Episoden aus dem Alltag einer jungen Zeichnerin – nicht spektakulär, aber clever und sympathisch erzählt


Jetzt kommt später
Edition Moderne, April 2011
Text und Zeichnungen: Kati Rickenbach
304 Seiten, schwarz-weiß, Softcover mit Klappenbroschur
Preis: 28,- Euro
ISBN: 978-3-03731-075-5
Leseprobe

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Abbildungen: © Kati Rickenbach/Edition Moderne