Rezensionen

Das Zeichen des Widders

 Die französische Schriftstellerin Fred Vargas (die eigentlich Frédérique Audoin-Rouzeau heißt), gehört seit etlichen Jahren zu den beliebtesten Krimi-Autoren, nicht nur in Frankreich, sondern auch bei uns. Ihre Krimis um den Kommissar Adamsberg bzw. um „Die drei Evangelisten“ stehen regelmäßig auf den Bestsellerlisten und haben etliche Preise gewonnen. Ihr deutscher Verlag Aufbau hat sämtliche in Frankreich erschienenen Romane auf deutsch veröffentlicht, nur bei einem hat er lange gezögert: Das Zeichen des Widders, in Frankreich im Jahr 2000 erschienen, ist nämlich ein Comic.

Diese Tatsache schien dem Aufbau-Verlag ein wenig peinlich gewesen zu sein. Als man im Herbst 2008 den Titel nun doch auf den deutschen Markt brachte, wollte man das Wort Comic lieber vermeiden, und auch der in letzter Zeit so modisch gewordene Begriff „Graphic Novel“ wurde nicht verwendet: Der Ankündigungstext blieb im Ungefähren und auf dem Cover steht lediglich: „Mit Zeichnungen von Baudoin“. Was einige Vargas-Stammleser wohl ziemlich verärgert hat, wenn man sich  die Kundenrezensionen bei Amazon ansieht. Erst durch den Promo-Trailer, der einige Wochen nach Erscheinen des Buches veröffentlicht wurde, wurde klar, worum es sich handelt. Das Zeichen des Widders ist nicht etwa eine der momentan beliebten Comic-Adaptionen eines bestehenden Romans, sondern ein eigenständiges Werk, das Fred Vargas eigens für den Zeichner Baudoin schrieb.

Der 1942 geborene Edmond Baudoin blickt auf eine lange Karriere als Comiczeichner in Frankreich zurück, aber kaum eines seiner Werke ist bisher auf Deutsch erschienen. Das liegt vielleicht auch an seinem Stil: Mit grobem Strich gezeichnete Schwarz-Weiß-Bilder, eher sparsam in den Details und nicht im klassischen Sinne „schön“. Baudoins Artwork ist sperrig, es macht es dem Leser zunächst nicht ganz einfach, in die Geschichte einzutauchen. Wenn man sich aber darauf eingelassen hat, bekommt man von Baudoin eine extreme Vielfalt an erzählerischen Mitteln zu sehen. Seine Seitenlayouts und Darstellungsformen ändern sich ständig. Mal gibt es stumme Sequenzen über mehrere Seiten, mal gibt es Seiten, die fast nur aus Text bestehen, weite Panoramen wechseln mit extremen Nahaufnahmen, an manchen Stelle verfließen die Panelgrenzen und die Bilder gehen ineinander über. Dabei zeichnet Baudoin nie einen Strich zuviel, bleibt sehr reduziert, aber ohne allzu minimalistisch zu werden.

 Aber worum geht's eigentlich? Erzählt wird von einem Mordfall, den der Pariser Kommissar Adamsberg aufklären muss, ein Protagonist zahlreicher Vargas-Romane. Dieser ist hier jedoch fast eine Nebenfigur. Im Mittelpunkt steht Grégoire, ein junger Gelegenheitsgauner und ein Freund des Mordopfers. Zu Beginn sehen wir ihn gemeinsam mit seinem Kumpel Vincent bei einem kleinen Raubüberfall – doch die Beute ist wertvoller als erwartet, und ihr Besitzer versteht keinen Spaß. Bald ist Vincent tot, und Grégoire hat nun gleich mehrere Probleme. Er will nicht, dass die Polizei von seiner Existenz als Kleingangster erfährt, gleichzeitig soll sie aber den Mordfall lösen. Und obendrein ist der Mörder nun auch hinter Grégoire her.

Fred Vargas erzählt kein klassisches Whodunnit, wir Leser wissen von Anfang an, wer der Mörder war. Viel spannender als die Frage, wie und wann dieser überführt wird, ist die Bedrohungslage, in der Grégoire sich befindet. Dieser Charakter ist sehr schön herausgearbeitet. Ein Einzelgänger, der nie eine Freundin hatte und stets auf Rollschuhen unterwegs ist. Er ist Sohn eines Lebenskünstlers, der seine Lebensaufgabe darin sieht, den in Rom stehenden Vierströmebrunnen aus Bierdosen und Kronkorken nachzubauen, und hat drei Brüder, die unterschiedlicher nicht sein könnten: einen Bankbeamten, einen Landwirt und einen Schauspieler. Die Darstellung dieser kauzigen Familie, die trotz aller Unterschiede einen großen Zusammenhalt pflegt, ist die große Stärke dieser Graphic Novel. Ebenso gelungen ist die Figur des bedrohlichen, finsteren Kerls, der beklaut wurde und nun Grégoire auf den Versen ist.

 Im Vergleich dazu bleiben der Kommissar Adamsberg und sein Vorgesetzter eher blass. Wer die Figuren nicht aus Vargas' Romanen kennt, wird nicht recht warm mit ihnen. Die Geschichte selbst ist spannend erzählt und hebt sich angenehm von üblicher Krimi-Standardkost ab. Sehr gewöhnungsbedürftig ist allerdings das Storytelling von Vargas und Baudoin. Immer wieder gibt es Beschreibungen, die sich wie eine Regieanweisung aus einem Drehbuch lesen (bzw. wie das Skript, in dem der Autor dem Künstler sagt, was er zeichnen soll). Beispiel: „Man sieht Adamsberg in dem verwüsteten Zimmer, in dem der Mord geschehen ist (…) Er kniet neben der Leiche, beugt sich über sie und besieht sich die Schnittwunden auf Vincents linkem Oberschenkel.“ Das wirkt doch arg befremdlich. Vertraut Fred Vargas den Bildern nicht? Oder ihren Lesern? Viel zu oft werden Informationen schriftlich dargelegt, die man auch leicht hätte bildlich darstellen können. Etwas problematisch sind auch die zahlreichen langen Dialogpassagen. Baudoin bemüht sich zwar sichtlich, abwechslungsreiche Formen dafür zu finden, aber ein wirklich graphisches Erzählen bleibt dadurch leider oft auf der Strecke.

Alles in allem ist Das Zeichen des Widders ein interessantes Experiment: Eine Romanschriftstellerin trifft auf einen eigenwilligen Comic-Künstler. Das Ergebnis ist zwar nicht in jeder Hinsicht gelungen, aber für jeden, der gerne mal über den Tellerrand blickt, durchaus einen Versuch wert.

Das Zeichen des Widders
Aufbau Verlagsgruppe
, September 2008
Text: Fred Vargas
Zeichnungen: Edmond Baudoin
Hardcover; schwarz-weiß; 224 Seiten; 22,95 Euro
ISBN: 978-3-351-03250-0

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