Rezensionen

Bruce J. Hawker Gesamtausgabe 1

Cover Bruce J. Hawker GA 1Seefahrerromantik, Freiheit, Abenteuer und ein charismatischer Held wie Johnny Depp als lustig-lässiger Pirat – so sieht bei uns das weit verbreitete Bild von Freibeuterei und Marine im 18. und 19. Jahrhundert aus. Etwas wage, sehr frei ausgelegt und alles andere als realistisch. Dass es auch anders geht, beweist der Abenteuercomic Bruce J. Hawker.

2003 gab es im Kino zwei Filme über historische Seefahrt: Peter Weirs Master and Commander und Gore Verbinskis Fluch der Karibik. Ersterer bestach durch Glaubwürdigkeit, Realismus und widmete sich Themen wie der Evolutionstheorie – ein Film für anspruchsvolle Erwachsene. Das andere Werk war von Disney, beruhte auf einem Freizeitparkfahrgeschäft und widmete sich Gespenstergeschichten, Schatzsuchen und Klamauk – ein Film für ein möglichst breites Publikum, der im Gegensatz zu ersterem zu einer Filmreihe mit womöglich bald fünf Teilen erweitert wurde.

Der Comic des Belgiers William Van Cutsem alias William Vance ähnelt eher Weirs stiller und ernster Geschichte mit Hauptdarsteller Russell Crowe. Vance wurde 1935 in Anderlecht geboren, war somit Zeitzeuge des Zweiten Weltkrieges – Skepsis und Abscheu gegenüber Militarismus und Brutalität sind Bruce J. Hawker anzumerken.

Erstmals erschienen dieser Abenteuercomic im Dezember 1976 im belgischen Frauenmagazin (!) Femmes d‘ Aujourd’hui (Frauen von heute), ab 1979 dann in der populären Comiczeitschrift Tintin. Im Splitter Verlag wurde im Herbst 2013 der erste Teil der zweibändigen Hawker-Gesamtausgabe auf Deutsch veröffentlicht. Neben vier kompletten Abenteuern enthält der Band auch umfangreiches, üppig illustriertes Bonusmaterial. Daraus erfahren wir einiges über den Schöpfer der Serie und seine Vorlagen für den britischen Leutnant.

Neben Vances Bruno Brazil (Carlsen) und den Blueberry Chroniken (Ehapa) ist Hawker einer dieser Comics, den sich heute „eher die über 40-jährigen“ in so einer Luxusausgabe ins Regal stellen, wie Comicexperte Volker Hamann auf der Frankfurter Buchmesse 2013 die angepeilte Zielgruppe einschätzte. In Deutschland wurde und wird dieses Segment der Abenteuercomics im Zack-Magazin bedient. Ist Bruce J. Hawker also vor allem Nostalgie? Nein, der Comic verbindet Anspruch und Unterhaltung für ein reifes Publikum.

Seite aus Bruce J. Hawker GA 1Während sich bei Fluch der Karibik die Epoche nur grob einschätzen lässt, ist diese Frage bei Bruce J. Hawker eindeutig zu klären. In Kurs auf Gibraltar begleiten wir Bruce, den jungen Kapitänleutnant, am Dienstag, den 10. Januar 1800 zum Londoner Hafen, wo er sich von seiner Verlobten verabschiedet und an Bord der königlichen Fregatte „Lark“ geht. Wir begleiten den jungen Mann bei seinen Abenteuern auf hoher See. Trotz seiner grauen Haare steht dieser britische Marinesoldat noch am Anfang seiner Karriere. Seine daheim auf ihr wartende Braut in spe stammt aus angesehen, wohlhabenden Verhältnissen. Ein vernünftiges Zweckbündnis, aber vielleicht ist auch Leidenschaft im Spiel – das bleibt unserer Phantasie überlassen.

Hohe moralische Werte, Edelmut und Tapferkeit zeichnen Hawker aus. Die Geschichten, die wir mit ihm durchstehen, beschränken sich nicht auf die Kapitänskajüte, sondern wir erleben auch den monotonen, anstrengenden Alltag unter Deck. Dabei erfahren wir etwas über „Powder Monkeys“ und die „Press Gang“, also über menschliches „Kanonenfutter“ und Zwangsrekrutierungen, teils von Kindern, weil die so flink in den beengten Schiffen eingesetzt werden können – so zynisch wird das Militär hier präsentiert. Und beim Kielholen wird es dann noch grausamer; auch das wird in einer dieser Geschichten gezeigt, die ganz sicher nichts für Kinder ist. Doch dieser Comic hat nichts reißerisches, sondern zeigt Gewalt nur als Bestandteil einer Handlung und nicht um des Schocks und der Sensation Willen.

Manches gerät dem fleißigen, engagierten Vance dabei zu detailliert, zu technisch – nach der Lektüre fühlt man sich in der Lage, selbst eine Kanone zu befüllen und abzufeuern, so leidenschaftlich ist der Autor und Zeichner bei der Sache. Authentisch, aber eben auch etwas überladen, wirken die englischsprachigen Kommandos in einem ansonsten doch deutschen Text – irritierend und hinderlich, um ganz in die Handlung einzutauchen. Neben all der Technik und Realismus treffen wir auch auf eine nahezu überirdisch schöne Traumfrau mit offenbar übersinnlichen Kräften – das dürfte auch manchen Freund des Karibik-Fluchs und von solch wunderbaren Comics wie Corto Maltese ansprechen.

Seite aus Bruce J. Hawker GA 1Eine Schwäche von Hawker lässt sich dabei auch als Stärke auslegen: Er bleibt recht blass. Wir verstehen sofort, dass er der Gute ist und leiden mit, wenn ihm wiederholt Unrecht geschieht – wohl gerade deshalb, weil wir in unser Vorstellung selbst zu Hawker werden. Er ist nicht so dominant wie Johnny Depp, sondern lässt uns und der Geschichte Raum. Das aus heutiger Sicht etwas behäbige Tempo, die Tatsache, dass er überhaupt Mitglied der Marine ist und auch die Zeichnungen weisen darauf hin, dass diese Comics aus den 1970er Jahren stammen und zwar noch vor den Veränderungen des Punk 1977. Militär und Obrigkeit waren schon suspekt, aber noch mussten es nicht zwingend Antihelden sein, um die Massen anzusprechen.

Die Zeichnungen sind ebenso detailliert wie die aufwändig recherchierten Fakten. Blau- und Schwarztöne herrschen vor. Kein strahlend blauer Himmel, kein Schwelgen in Träumen von Weite und Freiheit. Über Hawker scheint buchstäblich permanent eine Gewitterwolke zu schweben.

Bruce J. Hawker ist ein kluger, ambitionierter Comic, der sowohl technisch und historisch interessierte Leser überzeugen wird, als auch Freunde anspruchsvoller Abenteuergeschichten. Diese Art Comics wird viel zu oft und völlig zu Unrecht übersehen – nicht nur Reisen erweitert den Horizont, auch das Lesen dieses Comics wird die Leser nicht unbeeindruckt zurücklassen. 

 

Wertung8 von 10 Punkten

Ein verflucht guter Klassiker!

 

Bruce J. Hawker Gesamtausgabe 1 (von 2)
Splitter Verlag, Oktober 2013
Text und Zeichnungen: William Vance

Farben: Petra
Übersetzung: Harald Sachse, Tobias Haßdenteufel
Enthält die Geschichten: In den Tiefen der HMS Thunder, Kurs auf Gibraltar, Die Orgie der Verdammten, Press Gang
Extras: 29 Seiten Dossier von Jacques Pessis
192 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 34,80 Euro

ISBN: 978-3-86869-608-0
Leseprobe

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Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Splitter Verlag