Rezensionen

Bakuman.

Cover von Bakuman 10Wenn Manga über sich selbst erzählt, kann das in Form einer Autobiografie geschehen, wie das zum Beispiel Yoshihiro Tatsumi in A Drifting Life oder Hideo Azuma in Der Ausreißer getan haben. Beide Bücher setzen sich auf ihre Art mit der Problematik auseinander, wie man spannend über etwas erzählt, das sich weitestgehend auf endlose Schreibtischarbeit beschränkt. Tatsumi und Azuma treten die Flucht nach vorn an, indem sie ihre Manga-Arbeit entweder ganz klein machen (Azuma) oder in den größeren Kontext der japanischen Nachkriegsgeschichte einbetten (Tatsumi). Bakuman. von Texter Tsugumi Ohba und Zeichnerlegende Takeshi Obata (Death Note) dagegen beschäftigt sich in erster Linie und fast ausschließlich mit dem Schaffensprozess von Manga. Und dennoch wird daraus einer der spannendsten, witzigsten und ganz und gar unglaublichsten Manga der letzten Jahre – ein Kunststück, dem es sich auf den Grund zu gehen lohnt, bietet sich doch nach zehn in Deutschland veröffentlichten Bänden ein Resümee an (der elfte Band erscheint diese Tage).

Aber der Reihe nach: Bakuman. unterscheidet sich von den genannten Werken zuerst einmal darin, dass es keine (Auto-)Biografie ist. Vielmehr schaffen sich Obata und Ohba zwei jugendliche Alter Egos, die den langen und steinigen Weg in die professionelle Mangaindustrie antreten: Hobbyzeichner Moritaka Mashiro wird in der japanischen Mittelschule von seinem Mitschüler Akito Takagi überredet, mit ihm als Texter eine Karriere als professionelle Mangakünstler anzutreten. Ihr Weg verschlägt sie bald zur Shonen JUMP, für die sie erste Projekte zu entwickeln beginnen und bald auch veröffentlichen werden.

Shonen JUMP – bei Mangafans auf der ganzen Welt klingeln allein bei ihrer Erwähnung bereits die Ohren. Die vom Verlagsriesen Shueisha herausgegebene Weekly Shonen JUMP ist das bestverkaufte Mangamagazin der Welt. Wöchentliche Auflagen in Millionenhöhe, unzählige Hitserien (darunter die Dauerbrenner One Piece, Naruto und Bleach, aber auch Klassiker wie Dragonball), Taschenbuchauskopplungen, die sich ebenfalls millionenfach verkaufen (One Piece hat kürzlich mit dem 60. Band die 3-Millionen-Marke überschritten – pro Band, versteht sich. Die Gesamtauflage der Serie ist bereits jenseits der 200-Millionen-Marke gewandert) – für all das steht JUMP, aber auch für die Quintessenz der populärsten Mangagattung, nämlich des shōnen manga. In der Zielgruppenlogik der japanischen Publikationsstruktur meint das all diejenigen Manga, die sich vorgeblich ein ein jugendliches männliches Publikum richten und in entsprechenden Magazinen erscheinen.

Die typischen shōnen-Titel sind Abenteuer- und Heldengeschichten mit jugendlichen Protagonisten, die an immer stärkeren Herausforderungen wachsen müssen, um irgendwann zu triumphieren. Viele dieser Serien sind um ausgedehnte, teils mehrbändig angelegte Kampfszenen zwischen verschiedenen Figurengruppen herum aufgebaut, wofür sich der Begriff battle manga etabliert hat. Die populärsten dieser battle manga sind – natürlich – die erwähnten Titel aus der JUMP.

Seite aus Bakuman 2In eben dieser JUMP erscheint auch Bakuman. Das macht sicherlich den besonderen Dreh dieser Serie aus. Bakuman. erzählt über die JUMP, in der der Manga wiederum erscheint, und folgt gleichzeitig derselben Erzähllogik wie eine Serie aus dem Magazin. Bakuman. ist quasi gleichzeitig innerhalb und außerhalb der JUMP, während die JUMP wiederum zugleich innerhalb und außerhalb des Manga ist. Bei soviel Interreferenzialität wird einem schnell schwindlig, wenn man anfängt, darüber nachzudenken, und mit der angesagten Diagnose einer medialen Selbstreflexivität wird man dem Kern von Bakuman. nicht mal im Ansatz gerecht.

Natürlich tauchen auch zahlreiche real existierende Personen aus dem JUMP-Umfeld im Manga auf – neben diversen Gastauftritten von Zeichnern ist das besonders JUMP-Chefredakeur Sasaki (der seit kurzem übrigens auch auf Englisch twittert – @Sasaki_Hisashi. Sein Profilbild stammt natürlich aus Bakuman.) Zudem bauen Obata und Ohba viele interne Fakten rund um die JUMP in das Werk ein – von der Redaktionsstruktur und Assistentenverträgen über die Entscheidungsverfahren bei der Auswahl neuer Serien bis hin zu der Bedeutung der im Rahmen der JUMP veranstalteten Newcomer-Wettbewerbe und als wohl zentralstes Motiv – der ominösen internen Erfolgsrankings der Serien untereinander, die aus dem Leser-Feedback errechnet werden.

Cover von Bakuman Band 8Viele dieser Hintergrundfakten werden den Nachwuchs-Mangaka in Bakuman. als vertraulich vermittelt, oft mit der Anmerkung: „Eigentlich dürfte ich euch das gar nicht sagen.“ Hier kann man sich also fragen, warum ein Manga vorgeblich interne Daten über das Magazin vermittelt, in dem er erscheint. Dies dient natürlich der Selbstinszenierung. Der tatsächliche Wahrheitsgehalt dieser Informationen kann freilich nur von brancheninternen Fachleuten überprüft werden. Die JUMP bedient nun durch Bakuman. den Informationshunger ihrer unzähligen Fans, wie sie aber auch gleichzeitig den vermittelten Informationsgehalt kontrolliert. Was man Internes über die JUMP weiß, weiß man aus Bakuman.

So ertappt man sich beim Fachsimpeln über den japanischen Mangamarkt unter Gleichgesinnten schnell mal dabei, dass man nur gegenseitig mit Fakten argumentiert, die man beim Lesen von Bakuman. aufgeschnappt hat. Bakuman. dreht die Selbstreferenzialität so weit, bis die JUMP letztendlich als definierende Referenz für sich selbst dasteht. Ob sich hierin nun der postmoderne Albtraum von der Referenz verwirklicht, die nur noch auf sich selbst verweist, darf den Akademikern zur Klärung überlassen werden. Dem Spaß beim Lesen tut das jedenfalls keinen Abbruch.

Denn Bakuman. wendet nun zusätzlich die dramaturgischen Regeln des battle manga auf diese Konstruktion an. Das heißt, unsere angehenden Mangakünstler Moritaka und Akito müssen sich gegen zahlreiche teils äußerst abenteuerliche Kontrahenten um einen Veröffentlichungsplatz in der JUMP durchsetzen. Ziel der beiden ist natürlich nicht weniger als die erfolgreichste Serie des Magazins zu sein, und dafür müssen sie besonders das kurz vor ihnen in der JUMP gestartete Manga-Genie Eiji Niizuma hinter sich lassen. Der Kampf um das beste Ranking wird so auch zum Kampf zwischen intuitiver Genialität und kreativem Erfolgskalkül, bei dem sich Ohba als Death-Note-geschulter Mystery-Autor natürlich auf die Seite der Strategen schlägt. So dreht sich ein Großteil der Serie um Taktik und Berechnung, und wenn man Bakuman. einen Vorwurf machen will, liegt er wohl hierin: Qualität und Erfolg werden im JUMP-Universum in direktem Bezug gedacht; künstlerische Selbstverwirklichung muss hinter Kalkül und den Entscheidungen der Redakteure zurückstehen. Natürlich bleibt diese Haltung auch in Bakuman. nicht ganz unhinterfragt und sorgt für reichlich Diskussionststoff. Aber die stürmischen Jung-Mangaka bekommen aus der Cheftetage mehrfach vermittelt: Wenn ihr euer eigenes Ding fahren wollt, tut das in einem anderen Magazin! Die Qualitätslogik der JUMP ist die von Verkaufszahlen und Rankings.

Erstaunlich dabei ist nicht nur, wieviel Konflikt- und Spannungspotenzial Ohba und Obata aus dem drögen Alltag professioneller japanischer Verlagszeichner herauskitzeln können, sondern auch, wie genial sie diese Konfliktsituationen immer wieder in neue Richtungen drehen und Synthesen aus vorgeblich unvereinbaren Positionen schaffen. Bakuman. kommt dabei durchweg ohne Bösewicht aus. Selbst die Konkurrenz zu Niizuma ist für unsere Helden in erster Linie freundschaftlich und von gegenseitiger Unterstützung geprägt. Lediglich Chefredakteur Sasaki tritt durch harte Prinzipienentscheidungen gelegentlich als antagonistische Kraft in Erscheinung, die es zu überwinden gilt.

Seite aus Bakuman Band 2Die dramaturgische Cleverness der Macher ist jedenfalls wirklich beachtlich und geradezu lehrbuchhaft. Das Auf und Ab zwischen Enttäuschung und Erfolg wird in mitreißende Spannungbögen gekleidet, und wenn Moritaka und Akito im zehnten Band nach mehreren Enttäuschungen und Verzögerungen endlich auf eine neue Serie zusteuern, hat sich ein derartiger Drive im Storytelling aufgebaut, dass man vor Verzückung jubeln möchte. Wenn je ein Comic bewiesen hat, dass sich mitreißendes Erzählen tatsächlich konstruieren lässt, dann Bakuman.

Als leichte erzählerische Schwächen lassen sich eigentlich nur die etwas alberne Prämisse (Moritakas Antrieb ist, dass er seine Angebetete ehelichen will, sobald er es zu einer Anime-Umsetzung seines Manga geschafft hat, in der sie dann als Synchronsprecherin dabei ist) und die doch teils recht einfältig gestrickten weiblichen Figuren ausmachen. Interessanterweise gesteht Akito sich im Manga auch ein, ein Problem mit dem Schreiben von weiblichen Figuren zu haben, was man hier natürlich durchaus als sympathisches Selbsteingeständnis Ohbas deuten kann.

Seite aus Bakuman Band 8Zeichnerisch ist der Manga ganz auf der Höhe seiner Kunst. Dass Obata zu den Meistern seiner Zunft zählt, steht spätestens seit Death Note außer Frage. In Bakuman. geht er die Figuren nicht ganz so realistisch an wie in seinem Vorgängerwerk. Vielmehr dreht er sie immer wieder ins karikaturhaft Übertriebene. Besonders in den exzessiven Gesichtsausdrücken liegt ein Großteil des Humors und auch der emotionalen Wirkung des Mangas begründet. Die Hintergründe bestücken Obata und sein Assistenten-Team wiederum mit hyperrealistischer Detailverspieltheit. Wenige andere Comickünstler erwecken ein derart intensives Gefühl für das Setting. Dabei scheint Bakuman. ein recht undankbares Projekt für einen Zeichner zu sein. Das Skript ist extrem dialoglastig. Obata muss sich in seinen Seitenlayouts durch endlose Textschwalle navigieren, die Ohba ihm vorsetzt, und auch wenn die Figuren hin und wieder unten den gigantischen Sprechblasen zu verschwinden drohen, löst er die Herausforderung mit Bravour und schafft durchweg spannende und lebendig aufgebaute Seiten, die sich an den Höhepunkten der Geschichte in extrem dynamisch inszenierte Gefühlsexplosionen entladen. Fraglos machen Obatas Zeichnungen aus einem unterhaltsamen und innovativen Skript ein wahrlich mitreißendes Erlebnis.

Dabei beschönigt der Manga auch keinesfalls den harten Weg, den professionelle Mangaschaffende in Japan einschlagen müssen. Überarbeitung bis hin zum Nierenversagen, die Unvereinbarkeit von Privatleben und den extremen Arbeitszeiten der Branche, der kleine Bruchteil von entwickelten Projekten, die überhaupt veröffentlicht werden, und von denen wiederum nur ein geringer Teil sich dauerhaft etablieren kann …

Überhaupt haben die zahllosen fiktiven Serien innerhalb des Bakuman.-Universums sehr viel zum Kultpotenzial der Serie beigetragen. Die Leistung, neben der Hauptgeschichte auch noch Dutzende andere Konzepte zu entwickeln, die glaubwürdigerweise in der JUMP erscheinen könnten, muss man Obata und Ohba wirklich hoch anrechnen. Dies ging übrigens so weit, dass eine der fiktiven Serien tatsächlich einmal in der JUMP erschien (also der echten). Wohl selten hat ein Comic die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion auf derart unterhaltsame und zugängliche Art so weit getrieben wie Bakuman.

Bakuman. ist ohne Frage die Mangaserie, die man aktuell einfach verfolgen muss, wenn man nur das geringste Interesse an der Materie hat. Neben den erhellenden Einblicken hinter die Kulissen der kommerziellen japanischen Mangaindustrie und der lehrbuchhaften Dramaturgie ist es in erster Linie der pure Unterhaltungswert, der Bakuman. zu echtem Manga-Gold macht.


Wertung
Bewertung: 10 von 10 Punkten

Einer der wichtigsten Manga der letzten Jahre!

Bakuman.
Tokyopop Deutschland
Text: Tsugumi Ohba
Zeichnungen: Takeshi Obata
bisher 11 Bände, je ca. 192 Seiten, schwarz-weiß
Preis: je 6,50 Euro

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Abbildungen © Takeshi Obata, der dt. Ausgabe: Tokyopop