Messe- und Ausstellungsberichte

Berliner, Porno, kaputte Bilder: Die CIB 2013

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CIB-2013-PlakatIn der deutschen Hauptstadt gab es in früheren Jahren mal das „Berliner Comicfestival“ und danach den „Berliner Comicgarten“. Dann war es in Sachen „lokales Comicfest“ ein paar Jahre ruhig, bis 2011 die Macher der COMICINVASIONBERLIN (CIB) auf den Plan traten, damals noch mit dem Veranstaltungsnamen „Comics über Berlin“. Die mittlerweile dritte Auflage des sympathischen Festivals fand am 21.4.2013 in der Urban Spree-Gallery auf dem RAW-Gelände im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg statt. Und der graffiti-getränkte, leicht morbide Industrieruinen-Charme des Veranstaltungsorts passte wie der Fleischtunnel ins Hipsterohrläppchen. Denn das CIB ist eine Art DIY-Mitmachfestival, bei dem sich jeder mit Ideen, einer Ausstellung, Workshops oder anderen Programmpunkten einbringen kann.

Die Berliner Comicverlage waren mit Ausnahme von Mosaik vollständig vertreten und hatten reichlich lokale Zeichner mitgebracht: Bei avant signierten Ulli Lust, Felix Pestemer und Sophia Martineck (an deren herrlichen Titel Hühner, Porno, Schlägerei sich die Artikelüberschrift natürlich anlehnt). Reprodukt wartete mit Aisha Franz, Lukas Jüliger, der jüngst viel Lob für sein Debütwerk Vakuum erhielt, und Mawil auf; außerdem präsentierte Verleger Dirk Rehm persönlich das neue Kindercomicprogramm den kritischen Blicken der zahlreichen minderjährigen Besucher, deren Eltern der Sonntagsspaziergang hierher geführt hatte. Der Comic-Culture-Verlag hatte Alina Fox-Zeichner Daniel Gramsch dabei und hielt mit Marika Herzog die Manga-Flagge hoch.

Außenbereich der CIBRöhrender Platzhirsch war jedoch der Zwerchfell Verlag, der zwar nicht in Berlin beheimatet ist, aber hier auf ein stattliches Künstlerarsenal bauen kann: Naomi Fearn, Aike Arndt, Tim Gaedke, Michael Vogt, Tim Dinter und Christian Nauck signierten in Rotation und zwischendurch griffen die extra aus Stuttgart bzw. Frankfurt angereisten Verleger Stefan Dinter und Christopher Tauber selbst zum Zeichenstift. Aber auch Annette Köhn vom noch recht frischen Berliner Jaja Verlag hatte eine kleine Armee aus lokalen Zeichnern dabei, unter anderem Peter „Auge“ Lorenz, Dominik Heilig und Klaus Cornfield. Ebenfalls vor Ort waren der Warum Verlag von CIB-Mitveranstalter Wandrille Leroy und die Anthologien JAZAM! und Epidermophytie, welche die Herausgeber Adrian Vom Baur und David Koslowski bzw. Andreas „aha“ Hartung feilboten. Cross Cult sitzt zwar nicht in der Hauptstadt, ließ sein Programm aber vom Berliner Comicladen Comics & Graphics vertreten. Dazu kam eine Reihe Künstler und Illustratoren wie Thilo Krapp, Romain Malauzat, Maki Shimizu und Javier Lozano Jaén, die Comicläden Modern Graphics und Grober Unfug und der eine oder andere Kreativshop. Als internationalen Gast hatten die Veranstalter sich Arthur de Pins ins Urban Spree geholt. Der Comic- und Animationskünstler (LieblingsSünden) signierte nicht nur, sondern stellte auch seinen Zeichentrickkurzfilm La Révolution des Crabes vor, auf dem seine Comictrilogie Der Marsch der Krabben basiert, für die es in Erlangen 2012 den „Francomics“-Preis gab.

Stephen Paul Taylor performt mit GanzkörpereinsatzDie Atmosphäre im Urban Spree war weit entfernt von der geschäftigen Hektik einer Messe oder dem eifrigen Kistenscannen einer Comicbörse. Allein der späte und ans Ausgehverhalten junger Großstädter angepasste Start um 12 Uhr mittags sprach in dieser Hinsicht Bände. Es gab durchgehend Livemusik, neben chilligen DJ-Klängen den gutgelaunten ADHS-Synthiepop des Kanadiers Stephen Paul Taylor und swingenden Indie-Folk der Band Hells Chicken. Da wurden sogar ein paar Tanzbeine geschwungen und Körper gewackelt. Das in erfreulich großer Zahl hereinströmende Publikum war interessanter Weise viel weniger comicaffin als man es von anderen Veranstaltungen gewohnt ist. Manch eine(r) war offensichtlich nur aus Zufall nach dem Verlassen eines nahen Clubs hereingestolpert oder beim Sightseeing vom Weg abgekommen, wie der Trupp japanischer Touristen, der gleich zu Beginn die Halle bevölkerte. Das Interesse am Gebotenen war jedoch allgemein groß, es wurde viel geguckt, reingelesen und nachgefragt und durchaus auch gekauft. Bei Zwerchfell zum Beispiel wurden sowohl die allerletzten Exemplare der Bettgeschichten-Anthologie komplett über die Theke gereicht, die damit offiziell verlagsvergriffen ist, als auch die mitgebrachten Ausgaben von Aike Arndts kultigem Büchlein Die Zeit und Gott, das sich übrigens still und leise zum Longseller entwickelte und mittlerweile in der dritten Auflage ist.

CIB 13: What a crowd!Beim Anblick der wild zusammengewürfelten Besucherschar, deren Altersdurchschnitt klar unter 40 lag und den vielen jungen Familien wurde dem einen oder anderen Comicmacher jedenfalls mit Sicherheit ganz warm ums Herz. In diese Kerbe schlägt auch ein Blogeintrag von Comic & Graphics-Betreiber Frank Wochatz, in dem er sich eine Fusion der CIB mit der halbjährlichen Berliner Comicbörse, die sich seit kurzem klangvoll „Comicmesse“ nennt, zu einem großen Berlin-Festival mit gut durchgemischtem Publikum wünscht. Dass das eher unwahrscheinlich ist, gibt Wochatz gleich selbst zu, aber immerhin wurde Comicmesse-Veranstalter Carsten Laqua auf Erkundungstrip im Urban Spree gesichtet.

Fleißiges AusstellungsguckenDie CIB lebte neben den gut aufgelegten Künstlern und Ausstellern auf jeden Fall von den vielen Mitmachangeboten, die dankbar angenommen wurden: der Sketch-Workshop, die 3D-Roboter-Bastelecke für Kinder, der mysteriöse Illumat, in den man seinen aufgeschriebenen Zeichenwunsch steckte und dann mit einem individuellen Kunstwerk überrascht wurde, und das gemeinschaftliche Open-Air-Zeichnen, bei dem sich jeder Besucher verewigen konnte. Die wild zusammengewürfelte Ausstellung, die jedes zur Verfügung stehende Fleckchen an der Wand einnahm – teils hingen Comicseiten-Exponate auch wäscheleinenmäßig über den Köpfen des Publikums – wurde ebenfalls reichlich begutachtet. Wobei im Gewühl auch mal ein Bilderrahmen zu Bruch ging. Der betroffene Anarcho-Superheldenzeichner Nettman fühlte sich vermutlich geschmeichelt.

 

IMG 8544Im Heizungskellergewölbe lauerte auf volljährige Besucher auch noch eine Erwachsenencomic-Ausstellung, die sich größtenteils aus Beiträgen zum bereits erwähnten Bettgeschichten-Band zusammensetzte. Der lieferte auch die Grundlage für die Abschlussdarbietung: Nach acht Stunden Trubel gab es unter Leitung von Naomi Fearn eine Comiclesung nach dem Motto „Ich lese einen Porno, den du nicht siehst“, bei der an der Comicanthologie beteiligte Künstler wie Steffi Schütze, Christian Nauck und Mawil jeweils die Geschichte eines/r anderen lasen – und dazu die Bilder detailliert beschreiben mussten, was zum Vergnügen des Publikums teils natürlich eher witzig bis bizarr als hocherotisch ausfiel.

Alles in allem eine sehr erfreuliche Veranstaltung, leicht chaotisch, nicht perfekt, aber mit viel kreativem Charme und einem tollen Publikum. Nächstes Jahr dürfen die Comics und ihre Macher gerne wieder auf diese Art die Hauptstadt heimsuchen.

 

Mehr Einzelheiten zur COMICINVASIONBERLIN, der Zukunft des Festivals und wie es ihm am Tag danach ging, verriet uns Veranstalter Marc Seestaedt in einem Interview.

 

Und als Belohnung fürs Durchhalten folgt eine kleine Bildergalerie von der CIB 2013:

Reprodukt-Stand mit Mawil

Mawil (links) staunt über den Besucheransturm am Nachmittag.

Modern Graphics

Mit Modern Graphics, Comics & Graphics und Grober Unfug waren drei Berliner Comicläden vertreten.

Ulli Lust bei avant

Ulli Lust am avant-Stand.

Michael Vogt (Die Toten) bekommt am Zwerchfell-Tisch Instruktionen von den Verlegern Tauber und Dinter.

Michael Vogt (Die Toten) bekommt am Zwerchfell-Tisch Instruktionen von den Verlegern Tauber und Dinter.

Zwerchfell meets Comic-Culture

Comic-Culture-Redakteur und Comicgate-Mitarbeiter Michel Decomain schaut den Herren Tauber, Vogt und (Stefan) Dinter beim einträchtigen Signieren über die Schulter.

Luftige Ausstellung: Der WG-Chinese

Der Platz war knapp und manche Ausstellungsexponate wurden dementsprechend kreativ dargeboten. Die Seiten stammen aus dem Comic Der WG-Chinese, der auf der CIB recht guten Absatz gefunden haben soll. Vielleicht als Mitbringsel für den Chinesen daheim in der eigenen WG?

Doppeltim Gaedke

Dem Gesichtsausdruck nach scheint Tim Gaedkes bei Zwerchfell erschienenes Erstlingswerk Punchdrunk ziemlich gut zu laufen.

Thilo Krapp

Thilo Krapp hatte den knackfrisch erschienen zweiten Band von Damian & Alexander mit dem Titel „Dschungelliebe“ dabei.

Gewühle vor dem Cross Cult-Stand

Man sieht den Stand vor lauter Leuten nicht: Dieses Bild dürfte in der Cross Cult-Zentrale in Ludwigsburg ziemlich gut ankommen.

Außenbereich des Urban Spree

Der Außenbereich des Urban Spree und das Sonntagswetter ergänzten sich perfekt. Manche Besucher waren direkt vom Clubbesuch zur CIB gewechselt.

Cosplay?

Who needs Cosplayers if you got this?

Ulli Lust

Ulli Lust inspiziert die Arbeiten der Kollegen.

CIB 2013: Ausstellung

Für die Austellungen von zahllosen Künstlern musste jedes freie Fleckchen herhalten.

Zwerchfell-Stand mit Aike Arndt

Aike Arndt (rechts) signiert seinen Verlagsbestseller Die Zeit und Gott bei Zwerchfell.

Cameron Stewart

VIP-Besuch: Der in Berlin lebende kanadische Zeichner Cameron Stewart (Batman & Robin, Catwoman) schmöckert in den Bettgeschichten.

Cameron Stewart und Christian Nauck

Kollegenplausch: Cameron Stewart und Christian Nauck (Bettgeschichten, Marvel Adventures Spider-Man) nebst Mittagessen von Herausgeber Tauber.

Goran Sudzuka

VIP-Besuch II: Goran Sudzuka (Y – The Last Man, Wolverine) bestaunt Thilo Krapps Originalseiten.

JAZAM!

David Koslowski hütet gutbehütet den JAZAM!-Tisch.

Durchgehender Besucherstrom

Vor allem zwischen 13 und 18 Uhr sah die Halle durchgehend so aus.

Comic-Culture-Verlag

Michel Decomain schnackt am Comic-Culture-Stand mit Daniel Gramsch (Alina Fox).

Comicgate

Und zu guter Letzt: Der Comicgate-Stand!

Comicgate-Stand

Das sieht man gerne: Die Comicgate-Printmagazine und unser Cartoonbuch Schwarz, weiß, tot werden fleißig probegelesen.

 

Fotos: © Tom Eickelau, Andreas Völlinger