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„Ich hab’s nicht so mit dem Lieblichen“ – Interview mit Ulli Lust

Ulli Lust in HannoverDie Comiczeichnerin Ulli Lust stammt aus Österreich und lebt in Berlin. Mit ihrer autobiografischen Graphic Novel Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens landete sie einen internationalen Erfolg. Diesen Sommer erschien im Suhrkamp Verlag Flughunde, die Adaption eines Romans von Marcel Beyer. Dieses Werk stellte Ulli Lust im Oktober bei einer Veranstaltung im Literarischen Salon der Uni Hannover vor, wo sie Stefan Svik anschließend zum Interview traf. Darin spricht sie über ein breites Spektrum von Themen, vom vermeintlichen Graphic-Novel-Elitismus über das umstrittene Comicmanifest bis hin zu Hartz IV und dem Frauenbild in Comics.

 

Comicgate: Liebe Ulli, du hast so viele Auszeichnungen bekommen, wurdest schon so oft für Presse und TV interviewt…

Ulli Lust: (lacht). Geil, nicht?

Ich hoffe, dass ich mit meinen Fragen deinem Werk gerecht werde und das hohe Niveau halten kann, das du gewohnt bist …

(lacht laut)

…denn ich widme mich gerne dem Thema Comics generell und nicht nur den Graphic Novels, aber durchaus auch gerne dieser Gattung. Dein vorheriges Buch Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens (avant-Verlag) war stark autobiographisch. Darin erzählst du von deiner Zeit als 17-jährige in Wien, mit Vorliebe für die Punk-Szene. Deine aktuelle Graphic Novel ist bei Suhrkamp erschienen und wird wieder im Feuilleton der großen Zeitungen besprochen. Um einen Song von Die Ärzte zu zitieren: Ist das noch Punkrock?

(lacht)

Sind Graphic Novels nicht oft etwas elitäres?

Ich versteh das nicht. Warum soll das elitär sein? Und warum kann das nicht Punk sein? Du meine Güte! Punk heißt doch nicht, dass man sich Vorschriften machen lässt, was für eine Form irgendetwas haben soll. Das Punk-Motto lautet: Do it yourself. Und ich habe „do it yourself“ einen Comic gemacht und ich habe halt etwas mehr Platz dafür gebraucht. Und dann wurde es letztlich in das Buchregal „Graphic Novel“ einsortiert. Aber es ist letztlich ein Comic. Aber ich bin kein Punk mehr. Schon lange nicht mehr. Es ist nicht möglich, als Punk in Würde zu altern. Oder sehr, sehr schwierig.

Am Punk hat dich eher das Optische und das Image gereizt und weniger die Musik und anderes?

Auf jeden Fall das Optische. Ich kam ja vom Land und kannte die Musik gar nicht. Das machte mich sehr uncool. Aber die Ästhetik fand ich großartig! Die Frisuren, die Kostüme, der Style. Und natürlich das anarchistische Fundament. Aber diese Sache mit der Graphic Novel und dass da diese Angst gepflegt wird, dass das ein elitäres Produkt ist … es ist eines von den vielen Dingen, die man als Comiczeichner machen kann.

Aber die Trennung zwischen Comics und Graphic Novels ist vorhanden und wird eher noch stärker, oder? Bei deiner Lesung in Hannover war das ein Thema: Die Graphic Novels werden stärker über den Buchhandel vertrieben, der mit seinem stärkeren Vertrieb mehr Menschen erreicht als Comicläden. (einen Bericht zur Lesung von Ulli Lust im Literarischen Salon der Uni Hannover gibt es bei der ComicRadioShow). Du sagtest vorhin auch, dass du deine Leser gar nicht so sehr unter den Comiclesern vermutest, sondern eher in den Buchhandlungen.

Naa, naa (hier bricht Ullis österreichischer Akzent durch, auf Hochdeutsch: „Nein, Nein“). Das ist noch etwas schwierig. Natürlich sind meine Leser Comicleser, aber nicht die klassischen Leute, die in den Comicladen gehen. Es ist so, dass die Leser von einem Stoff wie Flughunde vor den klassischen Comicgeschichten, von denen es auch viele gute gibt, in einem Comicshop erst mal zurückschrecken würden. Vor diesen übertriebenen Bildern und diesen Fantasy-Elementen. Da würden sie wohl denken: Oh mein Gott, hier finde ich doch nicht das, was ich suche! Und die Flughunde würden im Regal ganz hinten stehen. Das kenne ich doch. In den Comicläden sind die Comics von Reprodukt und Avant in einem kleinen Regal. Und das muss man erst mal finden. Ich habe Leser in den Comicläden und in den Buchhandlungen. Mein Eindruck ist, dass es noch ein viel größeres interessiertes Publikum gibt, das noch nie in einem Comicladen war. Und genau für diese Leute hat man das Label Graphic Novel erfunden, damit sie ihre Angst vor Comics verlieren. All diese Klischees, was Comic angeblich alles ist.

Heute ist der letzte Tag vom Rest deines LebensIn einem Interview sagtest du, dass es bei Heute ist der letzte Tag… hilfreich war, dass eine 17-jährige die Hauptfigur sei, da das näher an der jungen Comiczielgruppe sei. Ist das bei Flughunde anders, sind dort die Leser älter?

Eigentlich nicht. Inhaltlich würde ich Graphic Novels auch nicht festlegen. Die Möglichkeiten sind nicht eingeschränkt. Für mich ist das einfach ein Buch. Ein etwas dickeres Buch. Eine abgeschlossene Geschichte. Was genau für eine Art Geschichte, ist erst mal nicht relevant. Der inhaltliche Rahmen ist eigentlich sehr viel größer als beim klassischen Comic, bei denen die Verlage immer geschaut haben, wie es eingeordnet werden kann: Teenagergeschichten, Bubengeschichten und so weiter. Für mich bedeutet das Format Graphic Novel mehr Möglichkeiten. Es ist also … anarchistischer (lacht)

Aufgewachsen bist du aber nicht mit Comics, sondern mit klassischer Literatur?

Ja.

Erst im Studium in Berlin hast du dann Comics gezielt kennengelernt?

Diese interessanten Alternativcomics, ja. In Österreich habe ich als Kind Donald Duck gelesen. Und ab und an gab’s in der Stadtbibliothek erotische Comics aus Frankreich – die fand ich super! Das fand ich toll, aber davon gab es nicht viel und die waren nicht mal ins Regal einsortiert. Die lagen auf einem Tisch – so ganz seltsam. In der Uni in Berlin habe ich dann den Kai Pfeiffer kennengelernt und der ist ein richtiger Comicexperte. Aufgewachsen ist er in der Nähe von Stuttgart und da gab’s dieses „X für U“ [Comicladen in Freiburg, Anm. d. Red.]. Er hatte Zugang zu richtig guten Comicdealern und deshalb konnte er mich mit den passenden Sachen versorgen. Und ich dachte: Das ist ja eine unglaublich geile Sache!

Früher gab es keine große Comicszene in Österreich? Hat sich das inzwischen gewandelt oder verfolgst du das nicht mehr?

Die ist gewachsen. Insgesamt sind sowohl der Kreis der Interessenten als auch die Zahl der Produzenten gewachsen. Es gibt jetzt sogar einen guten, kleinen Independent-Comicverlag, der ziemlich gute Sachen macht: der Luftschacht Verlag. Und nun muss ich dazu sagen: bei Fantagraphics in den USA gibt es nur drei deutschsprachige Autoren: Nicolas Mahler, Thomas Ott und mich. So viel zur österreichischen Comicszene (lacht). Es gab uns zwar nicht, aber in Amerika sind wir, relativ betrachtet, sehr präsent.

Während der Lesung erzähltest du, dass du in den USA beinahe noch bekannter seist als hier. Deine Bücher werden auch ins Französische übersetzt. Du hast zahlreiche, auch internationale Preise gewonnen und unterhältst gute Kontakte zu Künstlern, etwa aus den USA. Orientierst du dich inzwischen mehr in Richtung Amerika?

Nein. Das war immer schon so. Es gibt heute auch nicht mehr so viele regionale Unterschiede. Also ich hoffe, dass ich mir einen österreichischen Humor bewahre, aber meine Comics sind schon immer vom „alternative comic“ aus den USA inspiriert. Ich habe mich gewundert und es erst jetzt in den USA richtig gemerkt, dass sie dort so irrsinnig auf mein Buch abfahren. Dann wurde mir klar: Natürlich, denen ist das wahnsinnig vertraut, denn ich bin inspiriert von … Eddie Campbell, okay, das ist nun gerade kein Amerikaner. Chester Brown finde ich großartig. Und natürlich die Hernandez-Brüder.

Deine Art, Comics zu gestalten, ist den Amerikanern vertraut, sagst du. Wegen der Erzählweise, wegen der Zeichnungen?

Wegen dieser sehr lakonischen Erzählweise. Nicht diese Überwältigungsstrategie der Superhelden, sondern da steht dieser Typ und redet, mit wenigen Gesten.

FlughundeUnd diese Vertrautheit empfanden die US-Amerikaner nur beim Vorgänger von Avant oder auch bei deinem neuen Werk bei Suhrkamp, Flughunde?

Bisher nur beim Vorgänger. Bei Flughunde weiss ich es noch nicht. Geplant ist es für die USA, aber es wird noch ein Übersetzer gesucht, da Kim Thompson, der Hausübersetzer von Fantagraphics, leider gestorben ist. In Frankreich wird es ebenfalls erscheinen. Für mich ist es ein Zwischenwerk (lacht).

Dir wird in Interviews immer mal wieder die Frage gestellt, was Du von Superheldencomics hältst. Nun bist du Dozentin an der Universität Hannover. Beschäftigst du dich nun auch mit den Büchern von Scott McCloud, in denen Jack Kirby und Will Eisner gleichberechtigt nebeneinander stehen? Und wie findest du seine Ausführungen dazu, dass sequentielle Kunst eben gar keine so neue Kunstform ist, sondern bereits auf Höhlenmalereien zurück geht? Du sagtest zum Beispiel bei deiner heutigen Lesung, dass ein sehr stark komprimierter Comic nicht das richtige für dich wäre und du lieber 300 Seiten Platz zur Verfügung hast. Kirby ist ja eher ein Meister des Komprimierens, der besonders mit seiner Arbeit für Marvels Fantastic Four berühmt wurde.

Ja, Moment mal. Ich arbeite auf 300 Seiten ja sehr komprimiert. Ich ziehe es nicht in die Länge. Ganz viel Raum benötige ich nur, um die Charaktere zu entwickeln. Und das nicht im Sinne von langsam erzählen, sondern ich möchte viele Details aneinanderreihen können.

Aber natürlich kann ich diese Entertainmentschiene nicht bedienen. Ich kenne mich mit Superhelden nicht aus. Wer das gerne machen möchte, soll das gerne tun. Jeder Student hat die Möglichkeit, mich mit seiner Idee zu überzeugen. Das soll möglich sein. Ich will nicht sagen, dass nur dieser eine Stil möglich sei. Unter 30 Studenten gibt es immer 30 verschiedene Talente. Die Leute müssen herausfinden, was ihr Talent ist. Und dabei würde ich sie gerne unterstützen. Aber natürlich habe ich von manchen Dingen mehr Ahnung als von anderen.

Also hast du nicht den Ehrgeiz, dich mit Dingen wie Mangas und anderen Formen der Comics zu beschäftigen?

Mangas finde ich gut. Ich warte noch auf die richtig geilen deutschen Mangas.

Aber gegen Superhelden hält sich bei dir eine gewisse Aversion?

Nein, aber das ist einfach nicht meine Literatur. Ich bin ein Mädchen. Oder eine Frau. Ich mochte Wonder Woman auf dieser Insel, aber sobald sie anfing zu kämpfen, war mir langweilig. Das interessiert mich schlichtweg nicht.

Super Vorlage! In Grant Morrisons Buch Superhelden beschreibt er, wie die Comics mit Wonder Woman ursprünglich angelegt waren. Da waren Phantasien und Ideen dabei, von Befreiung, freier Liebe …

Hmm. Cool! Hätte ich sofort gut gefunden!

Davon ging dann über die Jahre vieles verloren, etwa durch den Comics Code. Es gab Zensur, Comics wurden kommerzieller und gleichförmiger, braver und harmloser. Sehr viel stärker Mainstream.

Und vielleicht, weil es für Männer gemacht war. Das Gros der Zielgruppe für Superheldencomics war immer männlich, oder?

Im Fall von Wonder Woman sagt Morrison, dass zwar ein Mann den Comic gezeichnet hat, dass inhaltlich aber sehr viel Einfluss von seiner Frau kam.

Ah, okay.

Eine Botschaft der ursprünglichen Wonder Woman war der Einsatz für Emanzipation.

Das hätte ich toll gefunden! Verdammt! Schade.

Da hat der Comics Code und der hysterische Umgang in den USA der 1950er Jahre sicher viel Schaden für Comics angerichtet. Aber zum Thema weibliche Sichtweise: Du sagst, als Frau interessiert dich diese Art Comics nicht. Das scheint ja durchaus ein Thema zu sein, mit dem sich die Verlage beschäftigen. Es gibt Versuche, mehr Mädchen und Frauen für Comics zu begeistern. Carlsen hatte etwa eine Reihe mit „Graphic Novels for Ladies“ gestartet, inklusive rosa Bändchen …

(Leicht gequält:) Jaaa, ich hab mir eins gekauft.

Seite aus Heute ist der letzte Tag...Das Frauenbild in den Comics sieht etwa bei den Superhelden oft eher so aus, dass Frauen mehr zur Dekoration gehören. Wie denkst Du über das Thema Frauen im Comic, Frauendarstellung im Comic?

Das ist natürlich schon ein Problem bei den Superhelden (lacht). Dazu gibt es ja etwa diese Website, auf der Posen weiblicher Superhelden mit männlichen Superhelden nachgestellt werden. Das ist doch wahnsinnig entlarvend, oder? Da sieht man dann, dass diese Figuren immer beim Kämpfen Posen einnehmen, die man normalerweise beim Geschlechtsverkehr einnimmt. Da fragt man sich: Warum müssen Frauen immer mit gespreizten Beinen kämpfen? Und warum müssen sie immer ihren Hintern herausstrecken, wenn sie zum Angriff übergehen? Das sind Projektionen. Das sind keine richtigen Frauen. Das interessiert Mädchen nicht. Sowas wollen Männer sehen. Das bedeutet also: Comics für Frauen und Mädchen wären tatsächlich etwas anders gestrickt, wie du gerade eben sagtest. Wonder Woman kann sich durchaus mal fesseln und von einem Mann verführen lassen, aber die Nuancen wären unterschiedlich. Die würde vielleicht auch mal kämpfen, ohne die Brüste freizulegen. Oder vielleicht könnte sie die Bluse im Zweikampf anbehalten (lacht). So Zeugs halt.

Ich mag ohnehin realistische, ambivalente Frauenfiguren. Frauen, die nicht nur typisch weibliche oder typisch männliche Züge haben. Ich mag vielschichtige Figuren, die nicht nur einen Charakterzug haben. Männer, die auch weibliche Eigenschaften haben und Frauen mit männlichen Eigenarten. Das große, ganze Panorama finde ich interessanter.

Diese Carlsen Graphic Novels für Frauen, von denen ich mir eine gekauft hatte, musste ich leider auf halber Strecke abbrechen. Ich konnte das nicht durchhalten – das ist so … blöd. Ich mag Pénélope Bagieu [Wie ein leeres Blatt] eigentlich gerne. Ich mag ihren Zeichenstil. Es hat mich sofort angesprochen, aber die Storys waren mir einfach zu seicht. Das ging nicht. Zeichnerisch war ich leicht angeteast, aber, na ja … (lacht)

In unserem Interview sprach Simon Schwartz über Frauen, die in den letzten Jahren vermehrt aus der Mangaecke kommen. Ihm komme es mitunter so vor, als wären nun eher die Männer die innovativeren Künstler, da sie diese Flut von Mangas mit Liebesgeschichten für Mädchen nicht gelesen haben. Das ist oft so lieblich, Figuren mit großen Augen und eher für eine sehr junge Zielgruppe, oder? Ist das nicht ein Rückschritt, wenn Frauen in diese Richtung Liebesgeschichten drängen?

Nicht die großen Augen sind das Problem, sondern das extreme Nachmachen. Wenn einfach nur das nachgezeichnet wird, das woanders bereits erfolgreich wird, dann kann dabei nichts Gutes, oder zumindest nichts Neues herumkommen. Wenn sie dann deutsche Mädchen in einer japanischen Uniform zeichnen und ihnen japanische Namen geben, dann wirkt das so wie das Nachgehechel eines kleinen Kindes, das gut nachahmen kann. Interessant wäre aber die Weiterentwicklung. Wenn daraus eigene Geschichten entstehen, die vielleicht auch auf eigenen Erfahrungen basieren. Oder auf Beobachtungen, die in unserer Realität spielen. Die großen Augen sind dabei überhaupt kein Problem. Diese Ästhetik kann man ja trotzdem mögen. Es geht nur darum: wie platt oder wie vielschichtig ist die Geschichte?

Geld – das ist ein anderes großes Thema. Etwa auch beim Comic-Manifest, an dem du beteiligt warst. Wie geht dieses Thema weiter?

Die Politik hat sich, Gott sei Dank, angesprochen gefühlt. Denn eigentlich ist das Manifest ja nicht für die Leser, sondern für die Politiker. Es gab einen Mann im Berliner Senat, der uns fragte: Was braucht ihr? Und wir sagten: das und das und das. Zum Teil sind das natürlich utopische Forderungen, aber auf lange Sicht vielleicht nicht ganz so utopisch. Ob dabei wirklich etwas herauskommt? Frag mich nicht, ich weiß es nicht. Man weiß ja, dass Berlin gerade nicht so begütert ist. Andererseits: Diese Leute vom ILB kamen zu uns, sie hatten einen Auftrag vom Senat, und da gab es dieses Geld und es hieß: Fragt die Comiczeichner, was sie gerne hätten, weil wir festgestellt haben, dass der Bereich Comic ein Wachstumszweig in der Berliner Wirtschaft ist. Yo. Na also, dann haben wir’s aufgeschrieben (lacht). Ideen, was dem Comic gut tun würde. Ich sehe das ja jetzt etwa durch mein Buch bei Suhrkamp. Plötzlich bin ich in dieser Literaturwelt unterwegs und dort gibt es vollkommen andere Gagen. Das ist ein völlig anderes Realitätssystem. Das ist irre! Es gibt plötzlich in jeder Stadt ein Literaturinstitut und ein Literaturhaus. Die Lesungen sind erheblich besser bezahlt. Ich bin ganz erstaunt (lacht). Und das gibt es im Comicbereich einfach nicht. Und das ist dann ein Grund, warum ganz viele, junge, engagierte Comiczeichner in die Werbung abdriften, oder in die Illustration. Einfach, weil sie die Zeit nicht finanziert bekommen, die es kostet, einen Comic zu zeichnen.

Ulli Lust in HannoverDu hattest in einem Interview erwähnt, dass du zeitweise von Hartz IV leben musstest. Kürzlich hatte ich Steff Murschetz interviewt, der U-Comix wiederbelebt hat [zu lesen im Comic!-Jahrbuch 2014]. Das wäre nun wohl auch wieder dieses Punk-Klischee: Ich bringe ein Heft in einer Auflage von 3500 Stück heraus, während eine Graphic Novel von Suhrkamp schon eher Mainstream ist …

Hmm.

Steff behandelt das Thema Hartz IV auch in den Comics. Dort wird dann etwa thematisiert, wie Hartz IV die Betroffenen krank macht und wie einem die Behörde im Weg steht …

Ja, das ist furchtbar.

Steff geht mit seinen 47 Jahren zum Jobcenter, bespricht, dass er sich als Comicverleger selbständig machen will, und bekommt dann Sätze zu hören wie: „Sie sind erwachsen, beschäftigen sie sich nicht mit so einem Kinderkram.“

Echt? Wow.

Steff macht das aggressiv. Etwa, dass Menschen durch Schikanen und Armut in den Tod getrieben werden. Bei dir klingt das Thema staatliche Förderung relativ positiv. Du siehst eher die Chancen und positiven Aspekte?

Nee, Nee. Das mit dem Hartz IV ist tatsächlich eine unglaubliche Schikane. Ich bin sehr froh, dass ich das mal selbst miterlebt habe, weil mir da erst klar wurde, was für ein Psychoterror da läuft. Da wird gezielt Psychoterror auf die Arbeitslosen ausgeübt. Und mein Eindruck ist, dass das planmäßig so ist. Ich hatte drei Betreuer in diesen zwei Jahren und da kamen Sachen! Die Leistungsempfänger sollten rausgeekelt werden. Da ging es nicht um Beratung oder Hilfe. Es ging darum, dass man sich mies fühlen und ganz schnell irgendeinen Job annehmen soll, um nicht mehr unter diesem Regime leiden zu müssen.

Ich bin fürs Grundgehalt! Das sollte ich zum Comic-Manifest noch dazusagen: Ich bin dafür, dass alle ein Grundgehalt bekommen!

Bist du ein politischer Mensch?

Ja. Ich hoffe. Ich müsste mich noch viel mehr engagieren (lacht).

Es gibt den Spruch: Geld ist Zeit, um schreiben zu können. Eine gewisse materielle Sicherheit ist wohl notwendig, als Grundvoraussetzung, um sich auf andere Dinge als nur ums bloße Überleben konzentrieren zu können. Du sagst, dass du sehr bescheiden lebst und nicht so viel brauchst. Wenn das Thema Geld aber immer (be)drückt: Kann man ohne Geld kreativ sein oder wäre es nicht besser, mehr Sicherheit zu haben?

Es kommt darauf an, wie sehr man sich beschränken kann. Ich mag es tatsächlich gerne, zu Hause zu sein und zu zeichnen. Da spare ich schon mal ganz viel Geld, statt es für die Kneipe auszugeben (lacht). Ich bin auch sehr introvertiert, das hilft auch sehr viel. Und ich mag diesen manischen Bewusstseinszustand, wenn man so ganz drin ist in der Arbeit. Und Comics sind wirklich ausgesprochen billig herzustellen. Alles was ich brauche, ist meine Arbeitszeit. Mehr wollten wir auch gar nicht bei diesem Manifest. Das kommt noch dazu: die Comicförderung wäre wahnsinnig billig im Vergleich zu anderen Gebieten. Mit ganz wenig Geld lässt sich ganz viel erreichen. Wenn man alleinstehend und sehr bescheiden ist und keine Familie möchte, dann denke ich, kann man diese ständig aufkommende Panik unterdrücken, dass man etwa nächsten Monat seine Miete nicht mehr bezahlen kann – dann schaut man halt, wo man sich das irgendwie zusammen borgt. Ich bin das einfach so gewohnt. Seit ich 18 bin, lebe ich auf diesem prekären Niveau. Und ich weiß, dass ich immer irgendwie durchkomme. Mein Sohn ist erwachsen. Er wurde von meinen Eltern groß gezogen. Eben aus dem Grund: Ich wusste, ich kann kein Kind ernähren, weil ich kreativ sein wollte. Das heißt … (überlegt) … auf jeden Fall kann man kreativ sein, wenn man Geldangst hat, so lange man nur irgendwie die Miete bezahlen kann, dort wo der Zeichentisch steht. Zumindest das braucht man doch. Als Obdachloser zeichnest du keine Comics mehr.

Dann muss dieses Ziel aber so stark sein, dass man sagt: Das lohnt sich, dafür stehe ich das jetzt durch. Oder?

Ja, genau.

Dann esse ich jetzt eben mal eine Woche lang nur Nudeln.

Mit meiner Stelle an der Uni werde ich nun endlich auch mal was zum Bruttosozialprodukt beitragen können (lacht). Ich würde dieses Leben nicht jedem empfehlen. Andererseits: Mein Gott.

Will Eisner hat Graphic Novels UND einen Superhelden wie The Spirit erschaffen. Kunst und kommerzielle Projekte. Scheint in den USA nicht so unüblich zu sein, siehe Steven Spielberg, der Filme wie Indiana Jones und Lincoln dreht. So etwas schließt du für dich aus, also ab und an bewußt kommerziell erfolgreiche Projekte?

Doch, doch, ich würde schon kommerziell arbeiten, aber die wollen mich halt nicht (lacht). Ich wollte Illustrationen für Frauenzeitschriften machen und bekam gesagt: Das ist nicht niedlich genug. Ich habe immer nach solchen Möglichkeiten gesucht, schließlich ernähre ich mich, seit ich 20 bin, davon. Seit ich mit dem Studium fertig bin, habe ich immer von künstlerischen Jobs gelebt: Schulbuchillustrationen, Illustrationen für dieses oder jenes Magazin, aber das war immer im sehr marginalen Bereich. Vielleicht hätte ich im Schulbuchbereich noch etwas mehr reüssieren können. Aber dann hatte ich, Gott sei Dank, diesen Erfolg mit Heute ist der letzte Tag… und ich konnte sagen: Nein, danke (lacht). Schulbuch ist sehr unattraktiv. Das macht keinen Spaß.

Seite aus FlughundeIn Heute ist der letzte Tag… finden sich zum Großteil realistische Zeichnungen. In Flughunde zeichnest du Joseph Goebbels meist als realistische Person, zeigst ihn in einer Szene aber mit einer langen Lügnernase. Bei deiner Lesung betontest du, dass du dich sehr an die Romanvorlage von Marcel Beyer gehalten hast. Musstest du dich als Zeichnerin mitunter etwas bremsen, etwa in den Hitler-Szenen – wäre es da naheliegend gewesen, ihn wie einen Teufel zu zeichnen?

Das hätte ich alles tun können, wenn ich das gewollt hätte. Ich finde, dass es im Comic, anders als im Film, diese naturalistische Abbildung nicht so sehr braucht. Die Natur muss nicht unbedingt abgebildet werden. Es gibt natürlich auch sehr realistische Comics, aber das, was ich mache, ist nicht supernaturalistisch. Ich mag zum Beispiel beim Manga, dass sie die Gefühlszustände in Zeichnungen auflösen und dass sie neue Formen finden, um Gefühlsregungen zu zeigen. Da sind die Japaner weit vorne. Das hat mich inspiriert, zum Beispiel.

Suhrkamp ließ dir freie Wahl für die Graphic-Novel-Reihe. Ein Grund für dich, Flughunde auszuwählen, war für dich, dass dir der Ort vertraut sein soll, was bei Wien oder Berlin der Fall ist. 2012 erschien die Graphic Novel Kriegszeiten über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan – wäre so ein Thema für dich denkbar?

Wenn ich dort wäre. Wenn man mich dort hinführen würde.

Du würdest in so ein Krisengebiet gehen?

Ich wollte so etwas machen: Reportagezeichnungen. Das wäre etwas, was ich gerne machen würde, aber ich habe nun eben die nächsten zehn Jahre verplant.

Mit deiner Trilogie Heute ist der letzte Tag…, du arbeitest nun am zweiten und dann am dritten Teil dieser autobiographischen Geschichte.

Ja, genau. Aber die Reportagen würde ich irrsinnig gerne machen, denn ich fahre sehr gerne irgendwo hin, recherchiere und baue dann daraus eine Geschichte. Das finde ich toll! Und natürlich haben Kriegs- oder Krisengebiete mehr Geschichten zu bieten als das Shoppingcenter nebenan, obwohl man natürlich auch dort etwas finden kann.

Der Nahostkonflikt ist vielen Autoren ein Anliegen oder auch Reisereportagen wie Pjöngjang von Guy Delisle, die Missstände aufzeigen wollen. Hast du ein Thema, das dich sehr stark anspricht?

Ja. Das Mittelmeer. Sizilien. Diese Frontex-Geschichte. Festung Europa. Das regt mich wahnsinnig auf. Da würde ich wahnsinnig gerne was drüber machen.

Simon Schwartz, dessen Comics, wie einige von dir, beim Avant-Verlag erscheinen, erzählte von seiner mehrjährigen Arbeit an Graphic Novels und den schnellen Illustrationen, die ihn dazu zwingen, sich mit neuen Themen zu beschäftigen, die ihn dann wiederum für seine Bücher inspirieren. Hättest du Lust auf solche Projekte, auf Kurzgeschichten, zwischendurch? Gibt es dafür eine Plattform? Du hast ja deinen eigenen Verlag gegründet. Neben Reprodukt und Avant bringen etwa auch Carlsen und Panini Graphic Novels heraus, aktuell etwa Daytripper aus Brasilien…

Den finde ich super! Ich möchte sie unbedingt treffen, wenn sie nach Berlin kommen. Ich kenne die Jungs [Fábio Moon und Gabriel Bá] nämlich.

Daytripper oder Graphic Novels von Jiro Taniguchi oder Will Eisner – das sind Werke, in denen die Bilder sehr leicht und sehr viel anders wirken als in deutschen Graphic Novels, wo es oft etwas sperriger und gröber aussieht. Warum ist das so, ist das dieser Independentlook? Ist das so gewollt, um gleich klar zu machen: Das hier ist kein Micky-Maus-Comic?

Ich hab’s nicht so mit dem Lieblichen. Ich bin mehr fürs Groteske und ich glaube, das ist ein österreichisches Erbe. Vielleicht wirkt Flughunde auch so schwer, weil es so dunkel geworden ist [Anmerkung des Autors: In der Lesung sprach Ulli über das Thema, auch über Abweichungen beim E-Book und der Printausgabe. Im Suhrkamp-Buch fielen die ursprünglich helleren Farben dem Druck zum Opfer.] Es ist natürlich eine schwere Geschichte. Aber mein Genre ist eben mehr die Tragikomödie. Die Groteske.

Mir würde jetzt noch Jimmy Corrigan einfallen. Mitunter entsteht der Eindruck, dass Graphic Novels oft sehr deprimierende, ernste Themen behandeln und dass Kritiker genau das dann loben. Daytripper ist eine Meditation über den Tod, aber es ist sehr leicht und hat viele fröhliche Momente. Sind wir da in Deutschland und Österreich immer etwas schwermütig und alles ist etwas zu ernst und trist?

Dieser Hang zur Melancholie ist nicht nur schlecht. Die Brasilianer gehen einem auch auf die Nerven mit diesem „Ach, hier ist immer alles super fröhlich! Wir lesen auch keine Bücher, sondern tanzen den ganzen Tag.“ Und so was halt. Zwischendurch erschießen sie sich dann. Oder sie sagen: Wir treffen uns um fünf. Und dabei meinen sie das dann gar nicht. Ach Gottchen, das hat alles seine Vor- und Nachteile (lacht).

Ich mag natürlich Leichtigkeit auch, aber Traurigkeit hat auch seine Reize. Womit sich die Deutschen vielleicht manchmal schwerer tun, ist Humor. Aber da würde ich mir jetzt kein Urteil anmaßen. Ralf König ist zum Beispiel super lustig.

Ich mag ja Mafalda sehr gerne. Ein cleveres, lustiges Mädchen. Kennst du die Comics?

Es sagt mir was. Ich kenne die Bilder.

Die Peanuts sind auch schön. Aber inzwischen ist vieles so zynisch und düster, so erscheint es mitunter. Du magst mehr die ernsten Themen?

Nicht die ernsten, sondern die existentiellen Themen. Ich muss das Gefühl haben, dass es ein Thema ist, von dem ich das Gefühl habe, dass man jetzt darüber lesen sollte. Bei der Punk-Geschichte [Heute ist der letzte Tag…] war es das Thema Emanzipation: Frauen sind nicht immer so, wie sie im Film dargestellt werden. Bei Flughunde war es so: Das habe ich einfach aus Spaß an der Freude gemacht. Ernste Themen? Jein.

Mal eine Literaturnobelpreisträger-Frage: Thomas Mann wurde gefragt, welche Figur in Buddenbrooks er denn sei. Er antwortete: jede davon. Also Facetten von ihm in seinen Figuren. Ist das bei dir auch so, etwa im autobiographischen Heute ist der letzte Tag…, bist du nur Ulli oder bist du doch eher beide weiblichen Figuren?

Welche ist denn die zweite Figur?

Die freizügigere Freundin, während Ulli etwas vorsichtiger ist.

Nee. Ich bin auf jeden Fall Ulli (lacht)!

Da zeigen sich also nicht zwei Seiten deiner Persönlichkeit?

Nein, das ist ja eine reale Geschichte.

Würdest du denn gerne mal eine lustige Geschichte erzählen?

Wahnsinnig gerne! Aber das ist wirklich ein hohes Talent, das auch mir nicht gegeben ist. Ich kann manchmal nebenbei lustig sein. Ich habe schon sehr viele Dinge versucht in meinem Leben. Am meisten liegt mir das humoresk, grotesk angehauchte Drama. Ich könnte keine lustige Faust-Adaption machen, so wie es Flix gemacht hat. Ich könnte auch nicht solche Einbildwitze machen wie Nicolas Mahler oder Rudi Klein – das liegt mir einfach nicht. Das ist eine Frage des Talents. So wie ich es zu den 30 Studenten meiner Klasse sagte: Jeder muss sein eigenes Talent finden.

Französische Ausgabe von Heute ist der letzte Tag ...Thema Geld und weitere Einnahmequellen: Einen Stoff wie Waltz with Bashir gibt es als Comic und als Film. Wäre das etwas, was dich reizen würde?

Zur Zeit schreibt ein Unternehmen ein Drehbuch für Heute ist der letzte Tag…. Ich habe Freunde, die sehr lange dafür plädiert haben, dass das nur ein Animationsfilm sein darf, weil das als Realfilm platt würde. Ich mag mich aber nicht mit dem Animationsfilm beschäftigen. Es wird einen Film geben! Hoffentlich auch mit kleinen Animationssequenzen. Aber die machen das. Sie schreiben das Drehbuch und ab und an legen sie es mir vor und fragen mich, ob ich damit noch leben kann. Ich darf dann auch beim Casting dabei sein. Es gab fünf oder sieben Anfragen und ich habe mir diese kleine österreichische Firma ausgesucht, weil die so engagiert waren. Das war mir sehr sympathisch. Und auch, weil sie mir die österreichische Regisseurin versprochen hatten, die ich gerne haben wollte. Ich mag den österreichischen Film gern. Es gab auch ein Angebot von Plan B, also der Firma von Brad Pitt. Und ich bin überhaupt nicht traurig, dass ich die Rechte schon vergeben habe.

Animationsfilme, Reisereportagen, lustige Themen – 2013 ist der 100. Geburtstag von Manfred Schmidt, dem Erfinder von Nick Knatterton, der leidenschaftlich gerne Reisereportagen schrieb. Er litt offenbar immer darunter, dass Comics so ein schlechtes Image hatten. Es war nicht klar, ob er damit haderte oder das ironisch meinte, wenn er sich dazu äußerte, etwa wie viele Jahre seines Lebens ihm Nick Knatterton geraubt habe. Du fühlst dich auch zum journalistischen Comic und zu Reisereportagen hingezogen, siehst du dich in einer Tradition mit Manfred Schmidt, Wilhelm Busch und anderen?

Wilhelm Busch kann wahnsinnig gut Figuren bewegen! Eigentlich mag ich es nicht mehr, weil es so altmodisch ausschaut, aber kürzlich habe ich mal wieder reingeschaut, weil ich das Museum besuchen möchte, und ich dachte: Wow! Wie diese Figuren sich bewegen! Wie dynamisch die sind! Da flippt man aus. Der war einfach wahnsinnig gut! In der Choreographie der Körperhaltungen. Und die Geschichten sind auch super.

Nick Knatterton habe ich als Kind wahnsinnig gerne im Fernsehen geschaut. Die Animationen fand ich irrsinnig lustig. Ich kann gut verstehen, dass er gerne Reportagen gezeichnet hätte. Und heute würde er es wahrscheinlich sogar tun.

Im Gespräch mit seiner Tochter wurde nochmal bestätigt, dass ihr bis heute nicht klar ist, ob ihr Vater mit dem Comicschaffen kokettiert oder wirklich darunter gelitten hat, wie gering das Ansehen dieser Kunstform mitunter ist.

Wahrscheinlich schon ein bisschen. So wie Wilhelm Busch ja auch, weil die öffentliche Reputation für narrative Zeichnung ist nun mal nicht so hoch wie die einer abstrakten Zeichnung. Oder von einem großen Gemälde, das im Museum hängt. Es gibt diese auratischen Unterschiede. Dem einen wird diese Aura der Kunst zugewiesen und dem anderen die Gebrauchsgrafik. Das tut weh als Künstler. Das will man nicht hören! Man will, dass die anderen die Energie schätzen, die man investiert hat. Diese künstlerisch, kreative.

Dazu gab es ja während der Lesung eine offenbar abfällig gemeinte Bemerkung aus dem Publikum, als eine Dame anmerkte, über den Comic „können sie ja genau so gut beim Bier reden“ und mehrfach barsch und unhöflich darauf hinwies, dass doch lieber „das literarische Meisterwerk“, also der Roman Flughunde besprochen werden solle statt des Comics.

Das fand ich unglaublich. Ich habe mich dann auch geärgert, dass ich darauf eingegangen bin und dann mehr über das Buch und weniger über meine Comics gesprochen habe. Und dann dieses dreifach wiederholte, provokative: „Wann reden sie endlich über das Meisterwerk von Marcel Beyer?“. Soll ich denn auf dem Tisch Pirouetten drehen, damit klar wird, dass das Buch ein Meisterwerk ist? Sie ist ja dann trotzdem vorzeitig gegangen.

Das war schon sehr respektlos und verletzend, oder?

Das ist genau das, was ich gerade meinte. Das sind Leute, die brauchen diese Kunstaura, um etwas erkennen zu können. Das ist etwas für Blödies (lacht).

Verglichen mit dem Comic-Forum auf der Frankfurter Buchmesse wirkte die Veranstaltung in Hannover etwas steif. Die Comicszene wirkt freundlicher, höflicher und aufgeschlossener. Man nimmt sich dort nicht so übertrieben wichtig. Es ist nicht so hochgestochen, sondern freundschaftlicher. Ist es in der Graphic-Novel-Szene härter, elitärer und langweiliger?

Das ist diese Literaturszene. Die macht eben gerne diese Brimborium. Und das ist wirklich ein bisschen unangenehm. Und wenn dann solche Leute im Publikum sitzen, ist es besonders unangenehm. Andererseits scheint das ein notwendiges Übel zu sein, wenn es um öffentliche Wertschätzung geht. Um diese Selbstverständlichkeit zu erreichen, mit der Medien inzwischen über Comics schreiben, was sie früher nicht taten. Dass man nun eben Stipendien erhalten kann oder dass das Goethe-Institut Comiczeichner aufs Comicfestival bringt. Das tun sie, weil sie dem ganzen inzwischen einen Wert zusprechen. Diese Sache mit der Aura ist ein Balanceakt. Etwas unangenehm, aber ein wenig brauchen die Leute das wohl. Ab einer gewissen Größe ist dieses Superfreundschaftliche nicht beizubehalten.

Du hast viele internationale Kontakte. In Frankreich wird von Comics als der Neunten Kunst gesprochen. Colin Wilson aus Neuseeland, der seit Jahrzehnten Comics zeichnet, sagte mir: „Wir sind außerhalb der Comicszene unsichtbar“. Ist die Wertschätzung für Comics anderswo größer?

Das ist anderswo genau so. Alternative Comics ist eine ganz kleine Szene. Das ist super ärmlich. Die amerikanischen Verlage zahlen den Zeichnern nicht mal die Fahrten zum Comicfestival.

Was ließe sich denn tun, um die Anerkennung und den Verkauf zu fördern? Gratis-Comic-Tag, ein Previews-Katalog mit sämtlichen deutschen Verlagen?

Aber es tut sich doch die ganze Zeit etwas!

Ulli Lust in HannoverAber was könnte noch besser werden? In einem TV-Interview wirst du auf den Boom der Graphic Novels angesprochen, aber dein Gesichtsausdruck wirkt etwas skeptisch, so als gäbe es gar keinen Boom.

Doch, doch! Vor zehn Jahren hätte ich keinen Verlag gefunden. Flughunde würde es nicht geben, weil sich Suhrkamp nicht dafür interessieren würde. Den Avant-Verlag gibt es seit 2000. Noch vor 15 Jahren hätte ich keinen Verlag für Heute ist der letzte Tag… gefunden, weil Reprodukt das abgelehnt hat. Wenn niemand deine Arbeit druckt, dann brauchst du gar nicht erst damit anfangen. Ich meine, du kannst selber einen Verlag gründen (lacht). Es hat sich wahnsinnig viel getan! Es gibt viel mehr Möglichkeiten. Ich kann meinen Studenten heute sagen: Comiczeichner ist ein realer Beruf! Ihr könnt eure Energie investieren, Comics zu zeichnen und es wird euch später dann auch ein bisschen was bringen. Sie werden Verlage finden können. Und der Leserkreis wird sich zwangsläufig vergrößern müssen. Natürlich gibt es mehr Comics, und bei mehr ist auch immer mehr Schlechtes dabei. Aber insgesamt gibt’s dann statistisch auch immer mehr gute. Ich blicke sehr positiv in die Zukunft. Ich finde es toll, in einem Medium zu arbeiten, in dem man sogar noch Pionier sein kann!

Hättest du noch andere Ideen parat zur Förderung der Comicszene? Wären höher dotierte Auszeichnungen eine gute Fördermöglichkeit?

Überhaupt dotierte Preise wären nicht schlecht. Ich bekomme immer so Sachen wie ein Brot, einen Ziegelstein … (lacht) Also echt! Ok, beim ICOM-Preis habe ich Geld bekommen. Das fand ich super! Ein anständiger Preis! Genau (lacht).

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Abbildungen: © Ulli Lust/Avant-Verlag/Suhrkamp
Fotos: © Stefan Svik