Interviews

Interview mit Bodo Birk zum Max-und-Moritz-Preis 2012

Eingang des 14. Comic-Salons 2010Vom 7. bis 10. Juni 2012 findet zum 15. Mal der Internationale Comic-Salon Erlangen statt, die größte und wichtigste Comicveranstaltung Deutschlands. Im Rahmen des Salons wird auch dieses Jahr wieder der Max-und-Moritz-Preis in einer eigenen Gala verliehen.

Die Organisation von Comic-Salon und Max-und-Moritz-Preis liegt in der Obhut Bodo Birks von der Stadt Erlangen (Referat für Kultur, Jugend und Freizeit). Comicgate-Redakteur Marc-Oliver Frisch hat sich mit Birk über den Max-und-Moritz-Preis, die kontrovers diskutierte Vergabe des 2010 eingeführten Max-und-Moritz-Publikumspreises und die Würdigung der Comic-Übersetzer im Rahmen des Preises unterhalten.

Das Gespräch fand Mitte bis Ende März 2012 per E-Mail statt.

 

Bodo Birk. © Kulturprojektbüro der Stadt Erlangen – Foto: Erich Malter, 2009COMICGATE: Herr Birk, können Sie zunächst kurz Ihre Rolle im Rahmen der Vergabe des Preises beschreiben?

BODO BIRK: Der Max-und-Moritz-Preis wird von der Stadt Erlangen verliehen. Für die Erlanger Festivals, also unter anderem für den Internationalen Comic-Salon und somit auch für den Max-und-Moritz-Preis, ist das Kulturprojektbüro der Stadt Erlangen verantwortlich. Konzeption, Planung und Organisation – und damit verbunden auch die Einladung der Juroren – liegen also bei mir und meinem Team. Alle inhaltlichen und konzeptionellen Fragestellungen hinsichtlich des Preises stimmen wir im Vorfeld mit den Mitgliedern der Max-und-Moritz-Jury ab, genauso natürlich mit dem Stifter des Max-und-Moritz-Preises, der Firma Bulls Press, Frankfurt. Daneben gibt es dankenswerterweise eine Reihe weiterer Comicmarkt-Experten, die uns – obwohl sie nicht der Jury angehören – mit ihrem wertvollen Rat zur Seite stehen.

Neben der Verantwortung für Planung und Durchführung des Preises bin ich auch Mitglied der Max-und-Moritz-Jury. In der Jury-Arbeit verstehe ich mich weniger als Comic-Experte – zumindest nicht als ebenbürtig mit Koryphäen wie Helbling, Heinzelmann, Gasser, Knigge oder Platthaus. Ich sehe mich vielmehr als Vertreter der Stadt Erlangen; ich versuche, die Interessen des Internationalen Comic-Salons zu berücksichtigen und – gemeinsam mit Jan Taussig, dem Vertreter von Bulls Press – die Wahrnehmung des Preises in der Öffentlichkeit, seine Entwicklung und Positionierung im Kulturbetrieb im Auge zu haben. Dazu gehört es zum Beispiel, darauf zu achten, dass bestimmte Prinzipien über die Jahre hinweg nicht immer wieder umgeworfen werden und dass – bei allen notwendigen Anpassungen – immer eine konzeptionelle Linie erkennbar bleibt. In diesem Punkt macht es uns die derzeitige Jury aber leicht, die ja in nur leicht veränderten Zusammensetzungen seit Jahren kontinuierlich zusammenarbeitet und dabei – wie ich finde – sehr verantwortungsvoll handelt.

 

COMICGATE: Sie sprechen die Wahrnehmung des Preises und seine Positionierung im Kulturbetrieb an. Können Sie näher darauf eingehen, welche Zielsetzung Sie diesbezüglich verfolgen?

BODO BIRK: Als der Max-und-Moritz-Preis vor beinahe 30 Jahren als erster Comic-Preis im deutschsprachigen Raum ins Leben gerufen wurde, wollte man damit einerseits herausragende Künstler würdigen, andererseits aber auch die verdienstvolle Arbeit der Verlage stärken und unterstützen. Im Vergleich zu den Pionierjahren mag sich die Verlagslandschaft heute im Bereich Comics bis zu einem gewissen Grad etabliert haben, aber wir wissen ja, dass die wenigen, teilweise trotz ihrer Bedeutung sehr kleinen deutschen Comic-Verlage heute immer noch jede Unterstützung gebrauchen können. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, ist es in Deutschland ja immer noch ein großes wirtschaftliches Wagnis, Comics zu publizieren. Insofern hat sich an diesem Ziel des Max-und-Moritz-Preises wenig geändert.

Darüber hinaus ist es von Beginn an ein Anliegen des Preises gewesen, die Auseinandersetzung über qualitative Kriterien zur Beurteilung der Comic-Kunst zu befördern. Auch wenn Comics – respektive Graphic Novels – in den Feuilletons einiger großer deutschsprachiger Zeitungen inzwischen häufig besprochen werden, steckt die Comic-Kritik bei uns insgesamt sicherlich noch in den Kinderschuhen. Ein wichtiger Preis regt immer auch zu Widerspruch und damit zur Diskussion an. Last but not least will der Max-und-Moritz-Preis auch auf die zahlreichen großartigen deutschen Comic-Künstler und in den letzten Jahren verstärkt auf den Comic-Nachwuchs aufmerksam machen. Vor diesem Hintergrund ist die Auszeichnung für die beste studentische Comic-Publikation entstanden.

Diese positiven Effekte kann ein Preis aber nur erzielen, wenn er entsprechend in der Öffentlichkeit ernst genommen wird. Bis vor einigen Jahren war der Max-und-Moritz-Preis zwar in der Comic-Szene ein Begriff, darüber hinaus wurde er aber kaum wahrgenommen. Ich denke, dass wir das in den letzten Jahren verbessern konnten. Inzwischen ist er – trotz seiner relativ bescheidenen Dotierung – als ein wichtiger deutscher Kulturpreis akzeptiert. Prominente Preisträger wie Albert Uderzo und über die Szene hinaus angesehene Juroren – wie zum Beispiel drei Mal in Folge Denis Scheck – haben dabei sehr geholfen. Der Preis und die Preisträger werden heute in erfreulicher Weise von den Medien kommuniziert. Die Bedeutung des Max-und-Moritz-Preises in der breiteren Öffentlichkeit hat man jetzt gerade im Zusammenhang mit dem Tod von Jean Giraud beobachten können. In fast allen Meldungen und Nachrufen wurde der Preis erwähnt.

Durch die hohe Aufmerksamkeit in den Medien empfinden wir aber auch eine große Verantwortung, die deutsche Comic-Landschaft in der Öffentlichkeit entsprechend zu repräsentieren. Die Max-und-Moritz-Jury bemüht sich sehr, in den Nominierungen die Vielfalt der deutschen Comic-Produktion widerzuspiegeln, ohne qualitative Kompromisse einzugehen, und sich in großer Unabhängigkeit auf würdige Preisträger zu einigen, ohne dabei den Markt aus den Augen zu verlieren. Schließlich soll der Max-und-Moritz-Preis ja auch Werbung für die nominierten und ausgezeichneten Titel sein.

 

Die Jury des Max-und-Moritz-Preises 2010COMICGATE: Die Vielfalt des Marktes ohne qualitative Kompromisse widerspiegeln und sich bei gleichzeitiger Beachtung des Marktes unabhängig auf würdige Preisträger einigen – das klingt nach einem Spagat. Können Sie anhand eines konkreten Beispiels aus der Vergangenheit zeigen, wie dieser Ansatz sich auf den Entscheidungsprozess der Jury auswirkt?

BODO BIRK: Natürlich ist das ein Spagat, um nicht zu sagen eine Unmöglichkeit. Ich hatte ja gesagt, dass sich die Jury sehr bemüht, solche Kriterien zu berücksichtigen und nicht, dass es immer gelingt. Und selbstverständlich kann man das nicht anhand eines einzelnen Titels oder Preisträgers nachweisen, sondern wenn, dann nur über Jahre hinweg in der Gesamtheit der Nominierungen und Auszeichnungen. Ohne interne Jury-Angelegenheiten in die Öffentlichkeit tragen zu wollen, können Sie davon ausgehen, dass die Diskussionen, die in der Comic-Szene insgesamt geführt werden – zur Wahrnehmung von Graphic Novels im Gegensatz zu Alben, US-Comics oder Mangas beispielsweise – auch in der Jury-Arbeit ihren Niederschlag finden.

Tatsächlich versucht die Max-und-Moritz-Jury, die Vielfalt der Comic-Kultur in ihren Nominierungen und Auszeichnungen zu berücksichtigen, soweit dies ohne Kompromisse bei der Qualität möglich ist. Mit anderen Worten, wenn zwei Titel von der Jury als qualitativ vergleichbar überzeugend eingeschätzt werden, dann werden wir sicherlich versuchen, die Vielfalt der Nominierungsliste im Auge zu haben. Aber eben nur dann. Und wenn wir glauben, förderungswürdige Tendenzen auf dem Markt zu beobachten, dann können wir versuchen, dies zu unterstützen, wie zum Beispiel vor zwei Jahren mit einem Spezialpreis für besonders verdienstvolle Klassiker-Pflege.

Natürlich hat niemand die Weisheit mit Löffeln gefressen, nicht einmal die Max-und-Moritz-Jury … Aber, was ich mit voller Überzeugung vertreten kann, ist, dass die Max-und-Moritz-Jury keinerlei partikulare Interessen vertritt, weder von Verlagen noch von anderen Gruppen, zu sechs Siebteln nicht einmal des Internationalen Comic-Salons bzw. des Stifters Bulls Press. Die Juroren, die unfasslich viel Zeit in die Jury-Arbeit investieren, obwohl sie alle in ihrem Berufsleben mehr als ausgelastet sind, tun dies, weil sie sich für qualitätsvolle Comics einsetzen wollen, egal aus welchem Genre oder von welchem Verlag.

 

Bodo Birk beim Max-und-Moritz-Preis 2010COMICGATE: Was macht für Sie persönlich als Jury-Mitglied einen qualitativ hochwertigen, preiswürdigen Comic aus? Und gibt es ein Beispiel, das die entsprechenden Eigenschaften für Sie besonders gut verkörpert?

BODO BIRK: Das ist – wie Sie sich wahrscheinlich vorstellen können – genau die Frage, die man nicht nur als Mitglied einer Jury, sondern auch als Veranstalter am meisten fürchtet. Was macht einen guten Comic, einen guten Roman, ein gutes Musikstück oder ein gutes Bild aus … Auch wenn man glaubt, einen einigermaßen verlässlichen Kompass für Qualität entwickelt zu haben, klingen die Antworten einerseits immer irgendwie banal und können andererseits auch jederzeit anhand eines anderen Beispiels widerlegt werden. Gerne werden ja auch immer wieder ausgewiesene Kunstexperten hinters Licht geführt, indem ihnen zum Beispiel Kinderbilder vorgelegt werden. Es ist wahnsinnig schwierig, wenn nicht gar unmöglich, allgemeingültige Kriterien für gute Kunst zu formulieren.

Ich will mich aber nicht um einen Antwort-Versuch drücken: Bei der grafischen Literatur geht es ja immer um so etwas wie ein Gesamtpaket. Bei einem Comic sind bekanntermaßen Form und Inhalt, also Artwork und Geschichte, gleichermaßen wichtig. Wobei ein Comic nicht unbedingt dann als gut gezeichnet gelten sollte, wenn er besonders opulent, besonders detailreich oder besonders naturalistisch ist. Ich finde es wichtig, dass der Stil der Zeichnungen dem Inhalt angemessen ist, dass also die richtige Form für die Geschichte gefunden wird. Noch so gutes Artwork alleine würde mir nicht genügen, wenn ich den Inhalt eines Comics nicht irgendwie relevant fände. Was kein Plädoyer dafür sein soll, dass nur weltbewegende oder besonders schwerwiegende Stoffe Geschichten für Comics bilden sollen. Es gibt schließlich zahlreiche Beispiele für packende Stories, die sich mit vergleichsweise unspektakulären autobiografischen Themen beschäftigen, oder speziellen Genres wie der Kriminalliteratur zuzuordnen sind. Originalität ist in diesem Zusammenhang sicherlich ein wichtiger Faktor.

Natürlich kann ich keine Beispiele aus den aktuellen Comic-Programmen nennen, damit würde ich ja der Jury-Sitzung vorgreifen. In den zurückliegenden Jahren sollten die nominierten Titel diesen Kriterien aber im Großen und Ganzen entsprochen haben. Nehmen wir doch einmal drei Nominierungen von 2010: Bei den Eigenproduktionen hatte Alpha. Directions von Jens Harder gewonnen. Ein Werk, dessen Wagemut und Originalität uns in Verbindung mit einem sehr intelligenten Umgang mit Schöpfungs- und Menschheitsmythen tief beeindruckt hat. Genauso hätte aber auch Barbara Yelins und Peer Meters Gift gewinnen können, eine dramaturgisch raffiniert gebaute und virtuos gezeichnete, aber eher konventionell erzählte Graphic Novel. Nicht weniger begeistert war ich aber auch von Pascal Rabattés Bäche und Flüsse, ein ganz und gar stilles und ungewöhnlich subtil erzähltes Comic-Abenteuer um Liebe im Alter in einem fast schon klassischen frankobelgischen Alben-Stil. Alle drei Titel erfüllen aus meiner Sicht auf ganz unterschiedliche Weise die formulierten Kriterien.

 

Logo Internationaler Comic-Salon ErlangenCOMICGATE: Auch 2012 wird es – bereits zum zweiten Mal nach 2010 – wieder einen Publikumspreis geben. Welche Überlegung steckt hinter dessen Einführung?

BODO BIRK: Zwei verschiedene Überlegungen: Zum einen sind wir schlicht und ergreifend daran interessiert zu erfahren, wie die Leser die Kriterien, über die wir gerade gesprochen haben, im Gegensatz zur … oder besser: im Vergleich mit der Jury einschätzen und gewichten. Auch wenn es aus meiner Sicht keinen Anlass gibt, die Entscheidungen der Juroren aus den letzten Jahren grundsätzlich in Frage zu stellen, kann ein Preis durch eine stärkere Partizipation der Leser und eine noch intensivere öffentliche Diskussion profitieren. Vor zwei Jahren sind wir dafür kritisiert worden, dass wir das Publikum nur über die Titel haben abstimmen lassen, die durch die Max-und-Moritz-Jury nominiert waren. Die Kritiker fühlten sich dadurch bevormundet. Auch wenn es im Kulturbetrieb einige Publikumspreise gibt, bei denen durch eine Jury eine Vorauswahl erfolgt, haben wir uns die Kritik zu Herzen genommen und den Publikumspreis in diesem Jahr weiter demokratisiert, indem wir die User verschiedener Comic-Diskussionsforen ihre eigenen Favoriten haben nominieren lassen.

Zum anderen wollen wir mit der Einführung des Publikumspreises den Max-und-Moritz-Preis noch bekannter machen. Die Vorschlag- und Abstimmungsrunden im Vorfeld der Jury-Sitzung, vor allem aber die breit angelegte Endabstimmung danach, die nicht nur im Internet, sondern auch wieder durch einige Magazine und Tageszeitungen begleitet wird, soll die Spannung noch einmal zusätzlich erhöhen, den Preis länger im Gespräch halten und so die öffentliche Wirksamkeit der Auszeichnung fördern. Und dies wiederum soll den Preis für die ausgezeichneten Künstler und die Verlage noch wertvoller machen. Und darum geht es ja – wie gesagt – im Endeffekt. Insofern ist der Max-und-Moritz-Publikumspreis beides: ein Angebot zur Teilnahme an die Leserschaft und ein Marketinginstrument für die deutsche Comic-Szene.

Aber ich will den Max-und-Moritz-Publikumspreis auch nicht zu sehr in den Vordergrund stellen. Mit dem Sondermann gibt es einen deutschen Comic-Preis, bei dem das Publikum im Mittelpunkt steht. Der Max-und-Moritz-Preis ist und bleibt in erster Linie ein Jury-Preis, bei dem mit der Publikums-Kategorie eine interessante zusätzliche Komponente hinzugekommen ist.

 

COMICGATE: Die ersten beiden Nominierungsrunden in den Diskussionsforen sind mittlerweile abgeschlossen, davon werden es drei Titel auf die finale Nominiertenliste schaffen. Die Mehrheit der Nominierten – etwa 20, heißt es – soll hingegen wieder von der Jury vorgegeben werden. Das scheint ein relativ großer Aufwand für ein relativ geringes Maß an Mitbestimmung des Publikums. Was spräche denn gegen eine Nominiertenliste zum Publikumspreis, die ausschließlich oder überwiegend vom Publikum gewählt wird?

BODO BIRK: Dagegen spräche gar nichts, unsere Entscheidung war eben nur eine andere. Wir wollten dem Max-und-Moritz-Preis eine weitere Komponente hinzufügen und keinen neuen Preis kreieren. Ein vom Max-und-Moritz-Preis abgekoppelter Publikumspreis müsste ja auch anders heißen. Das wäre nicht mit unseren beschriebenen Intentionen, den Max-und-Moritz-Preis zu öffnen und bekannter zu machen, in Einklang zu bringen. Aber natürlich spricht gar nichts gegen eine solche Konzeption eines Publikumspreises und jeder kann einen eigenen Wettbewerb ins Leben rufen. Die Schwierigkeit wird jedoch sein, wie man die große Menge in Frage kommender Vorschläge technisch, organisatorisch und inhaltlich in den Griff bekommt.

Die zentrale Fragestellung bei einem Publikumspreis ist doch die nach der Repräsentativität. Eine Konzeption, wie Sie sie vorschlagen, erweckt den Anschein absoluter Demokratie. Aber – je nachdem, welche Zielgruppen Sie ansprechen – wird das Ergebnis immer wieder anders ausfallen. Und wenn Sie versuchen, einen Preisträger wirklich im ganz breiten Publikum abzufragen, dann werden Sie wahrscheinlich wieder bei Asterix oder den wenigen anderen über die Comic-Szene hinaus bekannten Titeln landen. Aber ist das dann aussagekräftig, wenn die Leser für allseits bekannte Titel abstimmen, weil sie andere gar nicht kennen?

Wir haben uns deshalb dazu entschieden, mit einem vertretbaren Aufwand in den ersten zwei Runden eine Fach-Öffentlichkeit einzubeziehen. Die dritte und entscheidende Runde des Publikumspreises wird dann ja eine breite Öffentlichkeit suchen. Warum es nur ein geringes Maß an Mitbestimmung sein soll, aus voraussichtlich 24 Kandidaten einen Favoriten zu wählen, bleibt mir ein Rätsel. Auch wenn durch das Publikum selbst lediglich drei Titel für den Max-und-Moritz-Preis nominiert werden: Wer sagt denn, dass die Nominierungen der Jury nicht auch potenzielle Publikumspreisträger sind? Ich gehe jedenfalls davon aus, dass sich in den Publikums-Vorschlagslisten der ersten Runde Titel finden, die auch von den Juroren nominiert werden. Aber ich muss noch einmal auf meine letzte Antwort zurückkommen: Der Max-und-Moritz-Preis soll im Kern ein Jury-Preis bleiben, mit einer für einen Jury-Preis relativ stark ausgeprägten Publikums-Komponente. Mir ist jedenfalls kein anderer Jury-Preis bekannt, für den das Publikum nominieren kann.

 

Max-und-Moritz-Preis-MedailleCOMICGATE: Sie sagen, der Max-und-Moritz-Preis könne von einer stärkeren Partizipation der Leser profitieren, an Spannung gewinnen und noch bekannter werden. Ist es da kein Widerspruch, wenn man gleichzeitig gerne vermeiden möchte, dass unliebsame Titel vom Publikum nominiert werden? Wenn ich Sie richtig verstanden habe, besteht der Reiz eines Publikumspreises doch gerade in dieser Reibung zwischen der Auswahl der fachkundigen Jury einerseits und dem tatsächlichen Geschmack der Leser auf der anderen Seite.

BODO BIRK: Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie Sie darauf kommen, dass wir – wie Sie es formulieren – die Nominierung unliebsamer Titel vermeiden wollen. Das Publikum hätte schließlich jeden beliebigen Titel für den Max-und-Moritz-Preis nominieren können. In meiner letzten Antwort hatte ich lediglich gefragt, welche Aussagekraft es hat, wenn das breite Publikum Asterix und Co. für einen Publikumspreis nominieren würde, weil es andere Comics gar nicht kennt. Das ist dann eine Umfrage, welche Comics am bekanntesten sind und nicht, welche den Lesern am besten gefallen. Ersteres mag ja auch nicht uninteressant sein, wird aber schon durch die Verkaufscharts deutlich. Das ist der Grund, weshalb wir uns beim Publikumspreis des Max-und-Moritz-Preises für eine Nominierungsrunde an die sachkundige Zielgruppe der Foren-Nutzer gewandt haben.

Noch einmal zur Verdeutlichung: Alle anderen Formen von Publikumspreisen haben natürlich auch ihre Berechtigung. Zum Max-und-Moritz-Preis passen sie aber aus unserer Sicht weniger. Man muss auch den Kontext betrachten: Der Max-und-Moritz-Preis ist Bestandteil des Internationalen Comic-Salons, eines Festivals, das in seinem Programm – bei aller Bereitschaft, das Massenmedium Comic ernst zu nehmen und zu berücksichtigen – einen kulturellen Fokus hat. Der Publikumspreis der Berlinale beispielsweise wird ja auch nicht an Avatar verliehen. Das heißt doch aber nicht, dass man das große Hollywood-Kino nicht respektieren, vielleicht nicht sogar mögen würde.

Wenn Sie von der Reibung zwischen der Auswahl der Jury und dem tatsächlichen Geschmack der Leser sprechen, haben Sie mich nicht ganz richtig verstanden. Ich denke nicht, dass wir neue Gegensätze aufmachen sollten und schon gar nicht innerhalb eines einzigen Preises. Denn der Max-und-Moritz-Publikumspreis ist ja eben keine neue eigenständige Auszeichnung, sondern eine Kategorie des bestehenden Max-und-Moritz-Preises. Wir sehen darin – wie gesagt – eine interessante Ergänzung und spannende neue Komponente, keinen Wettstreit zwischen Mainstream und Hochkultur.

 

Die Moderatoren Denis Scheck (rechts) und Hella von Sinnen im Gespräch mit Ralf König beim Max-und-Moritz-Preis 2010COMICGATE: Als vor zwei Jahren der Preis in der Kategorie „Beste Comic-Publikation International“ vergeben wurde, sprach Denis Scheck in seiner Moderation zwar zunächst die besondere Leistung der Übersetzer an, der Name des entsprechenden Kollegen fiel dann aber leider gar nicht, was ich sehr schade fand. Gab oder gibt es Überlegungen, im Rahmen des Max-und-Moritz-Preises künftig auch die Arbeit der Übersetzer durch eine eigene Preiskategorie zu würdigen? Immerhin sind es ihre Texte, die die deutschsprachigen Leser bei Lizenztiteln aus dem Ausland zu lesen bekommen. (Offenlegung: Ich bin selbst auch Comic-Übersetzer.)

BODO BIRK: Wir sollten Denis Scheck keine Ignoranz unterstellen, ich denke es war ein Versehen, dass er im Eifer des Gefechts vergessen hat, den Namen zu nennen. Schließlich ist er ja auch selbst als Übersetzer tätig, bei Alison Bechdels Fun Home gemeinsam mit Sabine Küchler sogar als Comic-Übersetzer. Beim Übersetzer von Pinocchio [Gewinner des Preises in der angesprochenen Kategorie im Jahr 2010 –die Red.] handelte es sich um den im vergangenen Jahr verstorbenen Kai Wilksen. Er war einer der besten deutschen Comic-Übersetzer aus dem Französischen.

Sie rennen im Hinblick auf die Würdigung von Übersetzerleistungen bei uns wirklich offene Türen ein. Im Rahmen des Erlanger Poetenfests veranstalten wir seit 2004 jedes Jahr die „Erlanger Übersetzerwerkstatt“, die sich auch schon einmal dem Thema Comic-Übersetzung gewidmet hat. Außerdem vergeben wir – auch im Rahmen des Erlanger Poetenfests – alle zwei Jahre den „Erlanger Literaturpreis für Poesie als Übersetzung“.

Dass die Übersetzung von Comics bislang nicht ausreichend gewürdigt wird, hat uns gerade in der letzten Sitzung der Max-und-Moritz-Jury sehr beschäftigt. Da sind aber auch die Verlage gefragt. Die speziellen Probleme der Comic-Übersetzung sind noch viel zu wenig bekannt. Viele denken wahrscheinlich: na ja, das bisschen Text … Die besonderen Herausforderungen, die sich aus dem Text-Bild-Verhältnis ergeben, die formalen Einschränkungen durch die Sprechblasen, typografische Feinheiten, Texte in Bildern, Soundwords usw. – das alles ist von der Komplexität her mit der Übersetzung von Lyrik vergleichbar. Wir haben uns in der Max-und-Moritz-Jury deshalb vorgenommen, das Thema Comic-Übersetzung zukünftig verstärkt im Auge zu haben. Ob das gleich zu einer eigenen Kategorie führen muss, sollten wir erst einmal abwarten.

 

COMICGATE: Sie sagen, die Verlage sind gefragt. In welcher Hinsicht genau? Ihre Ausführungen lassen durchblicken, dass Sie in der Qualität vieler Comic-Übersetzungen noch großen Nachholbedarf sehen. Täuscht dieser Eindruck?

BODO BIRK: So weit würde ich nicht gehen, dazu habe ich mich doch noch zu wenig mit der Thematik beschäftigt. Ich würde eher sagen, dass es – bei aller Schwankungsbreite – offensichtlich eine große Zahl sehr ordentlicher bis exzellenter Comic-Übersetzungen in Deutschland gibt, schließlich ist die Qualität der Übersetzung ein wesentlicher Faktor für den Erfolg eines internationalen Comics. Die Verlage könnten das meiner Meinung nach deutlicher herausstellen und die Übersetzer stärker würdigen, nicht nur was die Honorare anbelangt … Häufig sind ihre Namen nur im Kleingedruckten des Impressums zu finden, bei einigen Websites von Comic-Verlagen fehlen die Übersetzer-Angaben ganz. Das ist im klassischen Literaturbetrieb anders.

Sie haben mit ihrer vorangegangenen Frage nach einer Übersetzer-Kategorie beim Max-und-Moritz-Preis sicherlich insofern Recht, als dass eine angemessene Würdigung der Comic-Übersetzung erst einmal eine entsprechende kritische Auseinandersetzung voraussetzt. Da sind wir – glaube ich – obwohl es ja so mythische Comic-Übersetzer-Persönlichkeiten wie Erika Fuchs und Gudrun Penndorf gibt, noch ganz am Anfang. Im November diesen Jahres wird Andreas Platthaus gemeinsam mit Stefan Pannor am renommierten Europäischen Übersetzer-Kolleg in Straelen ein mehrtägiges Seminar zum Thema „Comic übersetzen“ moderieren. Das wird bestimmt ein bedeutender Schritt.

[Nachtrag: Comicjournalist Stefan Pannor machte sich am selben Tag Gedanken zur Konsistenz der Juryzusammensetzung und der möglichen Auswirkungen.]


Abbildungen: Foto 1 von Bodo Birk © Kulturprojektbüro der Stadt Erlangen – Foto: Erich Malter, 2009

Restliche Fotos © Frauke Pfeiffer/Comicgate